Sonntag, 4. Mai 2008

Israels Irrweg von Rolf Verleger

Rolf Verleger wurde durch die Veröffentlichung seines Briefes an den Vorstand des Zentralrates der Juden in Deutschland (ZJD) über Nacht landesweit bekannt. Darin kritisierte er die bedingungslose Unterstützung der „israelischen Gewaltpolitik“ im letzten „Libanonkrieg“ 2006 durch den ZJD. Eine weitere These lautet: „Das Judentum, meine Heimat, ist in die Hände von Leuten gefallen, denen Volk und Nation höhere Werte sind als Gerechtigkeit und Nächstenliebe.“ Der Autor möchte der Ethik des Judentums wieder den Stellenwert zuweisen, der ihr gegenüber der zionistischen Ideologie eigentlich zusteht.

Mit „Israels Irrweg“ möchte Verleger, Professor für Psychologie am Universitätsklinikum in Lübeck und Mitglied im Direktorium des ZJD, einen Beitrag dazu leisten, dass sich dies ändert. Das Buch gliedert sich in drei Teile: „Wisse, woher Du kommst…“, „… und wisse, wohin Du gehst …“, „… und vor wem Du zukünftig Rechenschaft ablegen musst“. Diese Fragen beantwortet der Autor vor dem Hintergrund der jüdischen Ethik wesentlich überzeugender als viele andere. Der Autor weist auf den grundsätzlichen Widerspruch zwischen Judentum und Zionismus hin. In ihm sieht er auch die unbeantwortete Frage nach der jüdischen Identität, die er für das Wesentlichste hält. Die Politik Israels raube dem Judentum seine Seele und Identität. Ähnlich argumentierte kürzlich Avraham Burg.

Verleger schreibt über seine tragische Familiengeschichte und seine jüdischen Wurzeln, welche die Tradition seines Glaubens sind. Es folgt eine kurze Geschichte des Zionismus. „Die jüdische nationale Bewegung hatte noch mehr als andere nationale Bewegungen ihre Berechtigung, denn Juden wurden periodisch Opfer von Pogromen.“ Herzl selbst sei kein Anhänger von „Ideen des ´Kampfes ums Dasein` und des ´Übermenschen`“ gewesen. Er propagierte nicht die „Verdrängung der arabischen Bewohner von Palästina, sondern forderte vielmehr ihre Gleichberechtigung in einem multikulturellen Staat“. In seinem Tagebuch notierte er, dass der Staat so gebaut sein solle, damit „ein Fremder zufrieden bei Euch lebt“. Und in „Altneuland“ sprach er sich ausdrücklich dagegen aus, dass „Juden in dem zu schaffenden Staat aufgrund ihrer Herkunft oder Religion eine privilegierte Stellung haben dürften“. Herzl starb im Alter von 44 Jahren 1904 und „erlebte weder den Erfolg noch die Perversion seiner Vision“, so Verleger.

Ebenso diskutiert der Autor die Frage, was es heute angesichts der schwindenden Bedeutung von Religiosität heißt, Jude zu sein. Problematische Ersatzidentitäten sieht er im Nationalismus und im bloßen Anti-Antisemitismus. Besonders lesenswert ist u. a. auch Kapitel 12, in dem er sich mit dem „Vorwurf des ´Antisemitismus` als Mittel zur Ausgrenzung unliebsamer Meinungen“ auseinandersetzt. Er widerspricht der These, Kritik an Israel habe von vornherein und unbesehen als „antisemitisch“ zu gelten. Als eine Alternative stellt er die von ihm initiierte Aktion „Schalom 5767“ vor, mit der die Bundesregierung zum Umdenken in der Palästinafrage aufgefordert wird. Abschließend dokumentiert Verleger eine fruchtlosen Dialog mit einem verbohrten Email-Schreiber.

Für den Autor „steht die Entwürdigung und Ungleichbehandlung der Palästinenser durch Israel und seine jüdischen Bewohner im Gegensatz zu Gottes Auftrag der Nächstenliebe und zum zentralen Inhalt der jüdischen Religion“. Ein traditioneller jüdisch-religiöser Mensch habe also keine Alternative, als das Vorgehen der jüdischen Siedler und der israelischen Regierungen „aus tiefstem Herzen abzulehnen“.

Dieses Buch eignet sich hervorragend als Orientierungsrahmen für eine aus den Fugen geratenen Debatte, in der die Schwarz-Weiß-Malerei überwiegt; die Grautöne findet der Leser bei Rolf Verleger.