Mittwoch, 31. Dezember 2008

Um Hoffnung kämpfen

„Der Weg der Gewalt, den Israel mit der Unterstützung der westlichen Regierungen geht und für den einzig richtigen hält, führt in den Abgrund.“ Dieses Resümee zieht Felicia Langer am Ende ihres Buches, das eine sehr persönliche Bestandsaufnahme ihres politischen Engagements in Deutschland darstellt.

Die Autorin ist in jeder Hinsicht eine äußergewöhnliche Frau: charmant, gradlinig, unbestechlich, kämpferisch und beständig. Diese Charakteristika haben ihr schon in ihrer israelischen Heimat viele Gegner, ja Feindschaft eingetragen. In Deutschland ist es nur unwesentlich besser geworden. Ihre Fan-Gemeinde in diesem Land ist zwar riesig, aber ihre mächtigen Gegner bekämpfen sie mit allen Mitteln. Davon legen einige Beiträge beredtes Zeugnis ab.

In Israel war die Autorin die erste Anwältin, die seit 1967 für die unterdrückten Palästinenser vor israelischen Militärgerichten das Recht auf Menschenwürde einforderte. Sie hat damit Rechtsgeschichte in bester jüdischer Tradition geschrieben. Während der ersten Intifada 1990 schloss sie ihre Anwaltskanzlei aus Protest; ihrer Meinung nach war es innerhalb des israelischen Justizsystems unmöglich geworden, den Palästinensern zu ihrem Recht zu verhelfen. Ihr Einsatz für Gerechtigkeit hat ihr unter den Palästinensern und dem liberaldemokratischen Spektrum Israels hohes Ansehen beschert. Zum 50. Geburtstag Israels, 1998, wurde sie von der israelischen Zeitschrift „You“ unter die 50 bekanntesten Frauen ihres Landes gewählt, die etwas Großes für die israelische Gesellschaft geleistet haben.

Was Frau Langer über ihre Erfahrungen in ihrer neuen Heimat Deutschland niedergeschrieben hat, ist bemerkenswert. Jedes der kurzen Kapitel hat es in sich: Ob es um „´Eine Stunde Propaganda` in Herzogenaurach“, „Evelyn Hecht-Galinski“, „Die Veranstaltung in Bonn und die Israel-Lobby“ oder „60 Jahre Israel“ geht, um nur einige zu nennen. Was sie im letzten Kapitel zur Rede von Angela Merkel vor der Knesset schreibt, verdient Beachtung. Ebenso lesenswert ist das Statement des jungen Moderators der Veranstaltung in Bonn. Er benennt drei pro-israelische Organisationen, die gegen die Rede von Frau Langer Front gemacht haben, sodass Polizei am Veranstaltungsort zugegen war. Dass die anti-islamische, pro-israelische und pro-US-amerikanische Website „politically incorrect“ sowie „honestly concerned“ zu den Stimmungsmachern gehörten, verwundert nicht. Die dritte im Bunde ist eine „Organisation“, die sich „I like Israel“ (ILI) nennt. Der Moderator Simon Ernst charakterisiert ILI wie folgt:

„Die so genannte Organisation, ILI, die sich selbst als ´Think tank` und ´strategisches` Organ für die ´professionelle Pro-Israel-Promotion` bezeichnet, verfügt nach eigenen Angaben über eine Akademie zur Schulung ihrer Mitglieder und hat schon zahlreiche Demonstrationen organisiert, um für breite Unterstützung der Politik der israelischen Regierung zu werben. Der Medienpsychologe und ILI-Vorstand Leo Sucharewicz und sein Team von bezahlten Marketingspezialisten und Projektmanagern haben es sich zum Ziel gesetzt, langfristig am von ihnen organisierten Israel-Tag ´eine Million Menschen mit Israelfahnen auf die deutschen Straßen zu bringen`. In den vergangenen Jahren ist es ihnen gelungen, eine europaweit funktionierende Propagandamaschinerie ins Laufen zu bringen.“

Selbst Mitglieder einer jüdischen Gemeinde in Deutschland sind sich nicht zu schade, gegen eine Israelin, die aus eigener Erfahrung über den Nahostkonflikt spricht, Front zu machen; dies hat die Veranstaltung in Herzogenaurach gezeigt. Auch der Moderator stellte sich ein Armutszeugnis aus. Frau Langer schreibt dazu: „Er schien zu glauben, dass ihn das Geschrei nicht sonderlich viel anging. Ich musste mir also selbst etwas einfallen lassen.“

Ähnlich kämpferisch wie Frau Langer ist Evelyn Hecht-Galinski. Ihren Mut bewundert die Autorin, ganz im Gegensatz zu anderen, die Frau Hecht-Galinski mit Verleumdungen und grotesken Vorwürfen überziehen. „Die Entschlossenheit, mit der Evelyn Israel für seine Verbrechen gegen das palästinensische Volk anprangert, und die Klarheit, mit der sie den ´Zentralrat der Juden in Deutschland` als Sprachrohr Israels bezeichnet, haben mich beeindruckt.“ Auf den nächsten Seiten findet sich ein Vortrag von Hecht-Galinski, der von Frau Langer wie folgt kommentiert wird: „Ich verstehe und teile deinen Zorn, Evelyn. Er begleitet mich schon seit 56 Jahren. (…) Ich empfinde Evelyns Engagement als eine Art Fortsetzung meines eigenen langjährigen Tuns.“

Als „Epilog“ zitiert die Autorin ein Schreiben ihrer langjährigen Freundin Miriams vom 9. Juni 2007 aus Israel an „Fula“, wie Felicia Langer liebevoll von ihr genannt wird. Es legt Zeugnis dafür ab, wie die Autorin in ihrer Heimat Israel, wenigstens von den liberaldemokratischen Israelis geschätzt wird. „Es war das Gewissen, denke ich, das deiner reichen inneren Gefühlswelt immer den Zustand der Aufrichtigkeit erhielt. Es ruht nicht, dein Gewissen, nicht einen Moment. Und die Eigentümerin dieses Gewissens ließ dem Bösen keinen Augenblick Ruhe.“

Das Buch möge als Inspiration für ein zivilgesellschaftliches Engagement gegen jedwede Unterdrückung der Meinungsfreiheit, für Menschenrechte und Gerechtigkeit verstanden werden.

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Streifzüge durch Palästina

In Palästina finden unter den Augen seiner ursprünglichen Bewohner gigantische Transformationen und Verunstaltungen der Landschaft statt, die ihresgleichen suchen und von Kritikern als „Landraub“ wider das Völkerrecht bezeichnet werden. Das seit der „zionistischen Landnahme“ (Dan Diner) in Palästina begonnene Drama ist noch lange nicht zu Ende. „Dieses Vorgehen fügt sich perfekt in die lange Tradition westlicher Reisender und Kolonisatoren, die sich schlicht geweigert haben, die palästinensische Bevölkerung des Landes wahrzunehmen. Ihr Blick auf die Palästinenser war bestenfalls von Vorurteilen und Hohn geprägt, weil diese ihre Vorstellungen von diesem Land nur stören.

Diese Sätze schreibt der Menschenrechtsanwalt und Schriftsteller Raja Shehadeh, der in sechs Etappen seine Heimat Palästina durchstreifte und dabei Erschreckendes zu Papier brachte. Seine Berichte stehen für verschiedene historische Epochen der Geschichte Palästinas. Sie handeln von der Umgebung seiner neuen Heimatstadt Ramallah, der wilden Schönheit Jerusalems, von den Schluchten des Toten Meeres und der biblischen Landschaft zu Zeiten Jesu. Sie legen Zeugnis ab für die enge Verbindung seiner ursprünglichen Bewohner zu ihrem Land. Dieses wird den Menschen regelrecht unter ihren Füßen weggezogen und den Siedlern widerrechtlich übereignet. In einer Atmosphäre zunehmender Repression scheint sich im Westen niemand mehr für das tägliche Unrecht zu interessieren.

Auf seinen Wanderungen durch Palästina schildert er seine Eindrücke über die Schönheit der Landschaft, aber er berichtet auch von seinen Gesprächen mit arabischen Bauern, israelischen Siedlern und den ihn begleitenden Personen. „Wenn ich jetzt durch die Hügel wandere, bin ich mir immer bewusst, dass die Zeit, in der ich das noch tun kann, ausläuft. Vielleicht hat der bösartige Tumor, der die Hügel befallen hat, meine Wahrnehmung des Wandern in ihnen geschärft und mir klargemacht, dass ich mir ihrer nicht auf ewig sicher sein kann.“ Über vier Jahrzehnte hat eine planvolle Enteignung palästinensischer Gebiete durch die israelische Siedlungspolitik und deren Rechtsprechung eine zerstörerische Realität in der Landschaft hinterlassen. „Während unsere palästinensische Welt immer mehr schrumpft, dehnt sich jene der Israelis weiter aus (…) Um diese inhumanen Machenschaften zu verhüllen, wurde die Apartheid-Mauer erbaut.“

Shehadeh gehört zu denjenigen, die der palästinensischen Verhandlungsdelegation unter Haidar Abdel Shafi als juristischer Ratgeber diente. Nachdem die „Tunesier“ unter Yassir Arafat durch das „Oslo-Abkommen“ Abdel Shafi in den Rücken gefallen waren, quittierte Shehadeh seinen Job. Die Unterhändler in Oslo suchten keinen rechtlichen Beistand. Von ihnen bekam er zu hören: „Es sind neue Zeiten angebrochen.“ Die Exil-PLO scherte sich nicht um die gewonnen Erfahrungen der Palästinenser vor Ort. „Nur der Kampf, den die PLO außerhalb der besetzten Gebiete führte, wurde anerkannt.“ Der Autor zeigt sich frustriert über die politische Blauäugigkeit der Oslo-Verhandler, die gerade einmal Englisch Radebrechen konnten und über keinerlei aktuelles Kartenmaterial verfügten. Dementsprechend sahen auch die Verträge aus.

Imposant ist sein vierter Wanderbericht über „Die Klöster in der Wüste“. Im Kloster des Heiligen Georg von Koziba. Dieser Ort der Stille inspirierte ihn und ließ die Idee aufblitzen, ob dieser Ort der Stille nicht auch eine Alternative für ihn darstellen könne, um „die schweren Zeiten durchzustehen und meine Verzweifelung über Israels ungezügelte Macht pflegen zu können, bis sie geheilt ist“. Er könne nicht weitermachen in diesem Zustand der Wut, weil sonst alle seine Energie aufgefressen werde. „Es kommt der Zeitpunkt, an dem man die Realität akzeptieren muss,, so schwer das einem auch fallen mag, und Wege finden muss, mit dieser Realität zu leben, ohne seine Selbstachtung zu verlieren und seine Prinzipien zu verraten.“ Dem Autor ist ein überzeugender Wurf von literarisch-politischer Literatur gelungen, der nicht nur den Intellekt, sondern auch die Seele berührt. Inspirierend zu lesen.