Samstag, 6. März 2010

Ich würde gerne ein Vöglein sein

„Ich bin im Libanon gewesen. Ich habe die Friedhöfe von Sabra und Schatilla gesehen. Es ist beängstigend, die Friedhöfe zu sehen, wo die Opfer dieser schrecklichen Massaker begraben sind. Der Verantwortliche dieses schrecklichen Massakers sitzt noch in der Regierung in Israel. Und er ist fast stolz, dieses Massaker vollendet zu haben. Dieser Verantwortliche sollte aus der zivilen Gesellschaft ausgestoßen werden.“ Der, der diese mutigen Worte am 1. Dezember 1983 sprach, war Italiens Staatspräsident Sandro Pertini.

Der Verantwortliche war kein geringerer als Ariel Sharon, der damalige israelische Verteidigungsminister. Mit seiner stillschweigenden Duldung konnten die christlichen Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern ein Massaker unter der wehrlosen Bevölkerung anrichten. Wo war „der“ westliche Politiker, als die israelische Armee um die Jahreswende 2008/9 im Gaza-Streifen ein „Massaker“ an der wehrlosen Bevölkerung anrichtete, bei dem 1 400 Menschen starben, die Mehrzahl Frauen und Kinder?

Das Buch „Ich würde gerne ein Vöglein sein“ ist Teil des Projektes von Kindern der Palästinenser, die in den Libanon vertriebenen worden sind. Diese Kinder zwischen 9 und 14 Jahren sprechen über ihr Leben und ihre Hoffnungen und drücken ihre Erfahrungen in Zeichnungen aus. Das Projekt, das AI Jana 1998 ins Leben rief, beinhaltete zu Beginn eine fotografisch-journalistische Tätigkeit von 30 Kindern aus den Flüchtlingslagern Shatila und Borj-al-Barajeh. Es wurde später mit pädagogischen und künstlerischen Tätigkeiten fortgesetzt und schließlich mit der Herausgabe dieses Buches abgeschlossen. Mit diesem Projekt war beabsichtigt, die Kinder zu motivieren, über ihre eigene Existenz, Gefühle und Hoffnungen nachzudenken, und diese durch Fotos, Zeichnungen und in Texten auszudrücken.

Die vielfältigen Eindrücke sind die von Lagerkindern. Sie betreffen das ungenügende Gesundheitssystem, die vernachlässigte Bildung, die schulische Ausgrenzung, die Arbeit von Minderjährigen, die fehlenden Chancen, eine Arbeit zu finden oder auswandern zu dürfen. Die Hoffnungen dieser Kinder sind Picknicks im Freien, gutes Essen, Heiterkeit, Erziehung, Freundschaft und Liebe. Traurigkeit erzeugen: Bombardements, Gräuel und Sorgen, die Erinnerungen der Alten an das Leben in Palästina und das erzwungene Exil.

Das Leben der Kinder steht im Bezug zur Vergangenheit und der Geschichte ihres Volkes: „Das Leben muss weiter gehen für das Wohl Palästinas.“ Für die Kinder im Westen sind die folgenden Rechte Selbstverständlichkeiten: „Es ist mein Recht, Rechte zu haben“; „Mein Anspruch auf ein Studium, ohne arbeiten gehen zu müssen“; „Mein Recht, gutes Essen und eine Wohnung zu haben“; „Auch die Kinder der Armen haben das Recht zu spielen und über saubere Spielplätze zu verfügen“; „das Recht auf Meinungsfreiheit“; „das Recht, ein Vaterland zu haben“; und zuletzt „das Recht, mein Land zu befreien und nach Hause zurückzukehren“.

Ein Hoffnungsschimmer kam in den Erzählungen auf, als im Mai 2000 der Südlibanon von israelischer Besetzung befreit wurde und die Kinder in der Lage waren, Palästina zu sehen und andere palästinensische Kinder an der Grenze zu treffen. Die Geschichten dieser Kinder zeigen eines: auch in der vierten Generation der vertriebenen Palästinenser zeigt sich eine tiefe Bindung an ihre Heimat Palästina.

Das Projekt wurde von „Eine Brücke für …“ initiiert. Diese Organisation wurde 1991 direkt nach dem Ende der Bombardements im Irak mit dem Namen „eine Brücke für Bagdad“ gegründet, um die irakische Bevölkerung, die unter dem Krieg und dem Embargo des Westens litt, humanitäre Hilfe zu leisten. Die Organisation dehnte im Laufe der Jahre ihren Aktionsradius auf die palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon und auf das türkische Kurdistan aus.

Trotz der herrschenden Tristesse und des Elends in den Flüchtlingslagern vermitteln die zahlreichen beeindruckenden Fotos, Zeichnungen und Texte, dass das letzte Wort über diese Flüchtlingslager noch nicht gesprochen ist. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt; sie lässt sich auch nicht zerbomben. Das Recht auf Heimat ist ein Menschenrecht, das durch Rückkehr nach Palästina realisiert werden kann.

Die Dreisprachigkeit der Texte macht das Buch zu etwas Besonderem. So können sich deutsche, spanische und italienische Kinder mit dem Anliegen ihrer palästinensischen Altersgenossen/Innen solidarisieren. Ein Kinderbuch der besonderen Art.

Erschienen im Zambon Verlag, Frankfurt 2006, 15 Euro.