Samstag, 30. Oktober 2010

Christen in der islamischen Welt

Der erste Staatsbesuch des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulf in der Türkei hatte neben der Bedeutung des Islam für Deutschland auch die prekäre Lage der Christen in diesem Land zum Thema. Aber nicht nur in der Türkei steht den verbliebenen Christen sprichwörtlich das Wasser bis zum Hals, sondern auch in anderen islamisch regierten Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Ein Exodus von „biblischer Dimension“ habe nach Robert Fisk eingesetzt. „Across the Middle East, it is the same story of despairing – sometimes frightened – Christian minorities, and of an exodus that reaches almost Biblical proportions.” Wie soll der “christliche” Westen darauf reagieren? Durch noch einen Überfall wie in Afghanistan oder Irak? Oder haben die US-amerikanischen neokolonialen „Kreuzzüge“ nicht die bereits prekäre Lage der Christen völlig untragbar gemacht? Fragen, auf die westliche Politeliten Antworten geben müssen.

Der Titel des Buches zur Lage der Christen in der islamischen Welt ist nicht nur sehr anspruchsvoll, sondern das Thema ist auch hoch aktuell. Der Autor beschreibt die Geschichte der orientalischen Christen, deren kulturelle Leistungen und Lebensbedingungen unter islamischer Herrschaft. Martin Tamcke, Direktor des Instituts für Ökumenische Theologie und Orientalische Kirchengeschichte an der Universität Göttingen sowie Vorsitzender der Gesellschaft zum Studium des christlichen Ostens, will durch die Texte und Beispiele etwas über eine Minderheit vermitteln, die sich sonst kaum Gehör verschaffen kann. Das Buch hätte sei Ziel erreicht, wenn die Sensibilisierung für den Umgang der Muslime mit der einzigen noch quantitativ bedeutenden anderen Weltreligion in der islamischen Welt gelänge.

In fünf Kapitel lässt er eine Welt vor den Augen der Leser/Innen entstehen, die den westlichen Christen fremd, ja unverständlich geworden ist. Er stellt im Einzelnen die christlichen Völker des Orients vor und beschreibt die aktuelle Lage der Christen in Irak und Iran, Ägypten, der Türkei, dem Libanon und in Äthiopien. Die Übergriffe des Westens haben sowohl auf eine Schicksalsgemeinschaft der orientalischen Christen mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung als auch auf ihre gefährliche Lage aufmerksam gemacht. Gerade im Zuge der Islamisierung nehme die Entrechtung der Christen in Pakistan, Afghanistan, Irak und Saudi Arabien stark zu.

Dieses Buch wurde nicht geschrieben als „bewusste Anklage oder gar als Rechtfertigung für bestimmte Sichtweisen schwieriger Entwicklungen in der Geschichte“. Tamcke ist aber weit davon entfernt, die Toleranz des Islam zu idealisieren. Er beschreibt eindrucksvoll die leidvolle Geschichte der orientalischen Christen unter dessen Herrschaft. Der Islam garantiert zwar den Christen und Juden einen Schutzstatus (Dhimmi), behandelt sie aber weiterhin als Bürger zweiter Klasse. Ihre Stellung wurde weiter durch deren Zersplitterung und die gegenseitigen Animositäten und Konkurrenzkämpfe, die ihre Minderheitenstellung zusätzlich beeinträchtigte, geschwächt. Der Völkermord an den Armeniern und die Dezimierung der assyrischen Christen unter den Augen ihrer westlichen Glaubensbrüder gehört zu den unrühmlichen Kapiteln westlicher Aufklärung. Einst stellten die jüdischen Araber im Vorderen Orient und im arabischen Raum eine bedeutende Minderheit dar, aufgrund des politischen Drucks im Zusammenhang mit dem Israel- und Palästinakonflikt haben die meisten ihre Heimatländer verlassen bzw. wurden gewaltsam dazu gezwungen. Es entbehrt aber nicht einer gewissen Pikanterie, dass es im shiitischen Iran eine über 30 000 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde gibt, obgleich „der Westen“ der Führung des Iran massiven „Antisemitismus“ vorwirft. Die iranischen Juden erheben diesen Vorwurf gegenüber ihrer Staatsführung nicht, und kaum jemand will nach Israel auswandern. Zu den am stärksten unterdrückten Minderheiten im Iran gehören die Bahai.

Kritisch setzt sich der Autor mit den Thesen Bat Yeor´s über den Minderheitenstatus der Christen auseinander. Anstatt ihre eigene Kultur und Sprache zu modernisieren, hätten sie sich für eine Angleichung entschieden, ja sie hätten sich „der Kultur der Eroberer“ angepasst. Für die Autorin sei die Eingliederung der orientalischen Christen ins „Arabertum“ der eigentliche Sündenfall gewesen. „Freilich hat man bei dieser Autorin einen deutlichen Antiislamismus mit zu bedenken, der ihre Argumentationslinien zuweilen sehr eindeutig und ohne Gegenproben lässt.“ Ihre Beschreibung der Stellung der orientalischen Christen sieht überall nur „Zerfall“ und „Niedergang“. Auch die jüdischen Araber verstanden sich einem so genannten „Arabertum“ zugehörig, bis das Aufkommen des Zionismus zu deren politisch-gesellschaftlicher Entfremdung beitrug.

Die jüngsten neokolonialistischen Übergriffe des Westens haben sowohl auf eine Schicksalsgemeinschaft der orientalischen Christen mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung als auch auf ihre gefährliche Lage aufmerksam gemacht. So hat der amerikanische völkerrechtswidrige Überfall auf den Irak die Lage der Christen nicht nur im Irak, sondern auch in anderen arabischen Ländern schwer geschadet. Im Kapitel über die „gegenwärtige Lage der Christen im Orient“ vertritt der Autor die These, dass in allen vorderorientalischen Gesellschaften die Idee des Nationalismus zum Niedergang der Christen geführt habe, obgleich führende arabische Nationalisten Christen waren.

Die westlichen Gesellschaften müssen sich intensiver um die christlichen Minderheiten kümmern, aber nicht im US-amerikanischen Sinne. Sie sollten den Islam an seine viel gerühmte Toleranz erinnern. Eine Türkei, die weiterhin die orientalischen Christen, die Kurden und die Alewiten diskriminiert, verspielt selbst ihre Chance, Mitglied der EU zu werden. Ob der Besuch von Bundespräsident Wulf und sein Einsatz für die Christen der Türkei einen Umdenkungsprozess in Gang setzten, muss die Zukunft zeigen. Wenn es der Westen Ernst mit seinem Einsatz für die christlichen Minderheiten in der islamischen Welt meint, sollte er auch jedweder Regung von Islamophobie in seinen eigenen Gesellschaften widerstehen. Das Buch bietet eine ausgezeichnete Einführung in das orientalische Christentum unter islamischer Herrschaft.

Samstag, 23. Oktober 2010

Wie Juden Deutsche wurden

Der Titel ist etwas unglücklich. Juden in Deutschland oder Germanien waren schon immer Deutsche, was denn sonst. Mit dieser Selbstverständlichkeit hatte wohl nur die deutsche nicht-jüdisch-christliche Mehrheitsgesellschaft ein Problem. Die jüdischen Deutschen fühlten sich als Patrioten. Sie kämpften gegen Napoleon und starben im Ersten Weltkrieg. Trotz alledem wurden sie von ihren „christlichen“ Mitbürger nicht als gleichberechtigt akzeptiert. Dieses Ressentiment führte schließlich zu dem, was seit dem 19 Jahrhundert Antisemitismus genannt worden ist und im 20. Jahrhundert mit der Vernichtung der Juden durch das nazistische Terrorregime endete. Heutzutage von einer „christlich-jüdischen Tradition“ zu reden und eine solch eingebildete gegen den Islam in Stellung zu bringen, ist vermessen. Historisch waren es die Christen, welche die Juden als „Christusmörder“ dämonisierten, vertrieben, verfolgt und schließlich ausgerottet haben. Die Inquisition in Spanien wurde von den bis heute hoch verehrten „katholischen Königen“ mit dem Segen der Kirche durchgeführt. Zuflucht fanden die spanischen Juden in der islamischen Welt, im Osmanischen Reich. Das Judentum steht dem Islam allemal näher als dem Christentum. Kennten die politischen Schwadroneure den Koran und die darin enthaltene Verehrung jüdischer und christlicher Personen, müsste die Hetze gegen den Islam sofort verstummen.

Deborah Hertz, Professorin für Jüdische Geschichte an der University of California in San Diego, hat die Konversionen von jüdischen Deutschen zum Protestantismus bis ins 19. Jahrhundert hinein untersucht. Ihr Interesse wurde geweckt, als sie während ihrer Forschungsarbeiten zu ihrer Dissertation auf unzählige Aktenordner stieß, die auch eine so genannte „Fremdstämmigenkartei“ enthielt. In dieser Kartei waren alle Berliner Juden erfasst, die zwischen 1635 und 1933 vom Judentum zum Protestantismus konvertiert waren.

Die Autorin untersucht die sehr unterschiedlichen Motive, die zur Konversion geführt haben. „Lutheraner zu werden, war eine nachhaltige Möglichkeit, sich innerlich deutscher zu fühlen", so Hertz. Weitere Motive waren die Widerrufung bürgerlicher Gleichheitsrechte für Juden nach dem Wiener Kongress, die staatstragende Tendenz im protestantischen Christentum u. a. m. Der Konversionsakt wurde nicht nur von den Betroffenen, sondern auch von der Gesellschaft als „zwiespältig“ angesehen und stürzte die Betroffenen oft in Gewissenskonflikte. Selbst wenn man diese Konflikte für eine Art „Trittbrettfahrertum“ hielte, wollten viele der Konvertiten nicht, dass das Judentum verschwände, wie die Autorin anmerkt. Viele suchten eine Lösung für etwas, dass sie als persönliches Problem empfanden. Deborah Hertz hält die Konversionen für keinen guten Weg und auf der persönlichen Ebene für „einen Fehler“.

Bewundernswert ist die Zurückweisung der „Denunziation“ des damaligen Vorsitzenden der Jewish Agency, Avraham Burg, die er gegenüber dem deutschen Judentum geäußert hat: „Die Juden Deutschlands, blind gegen die Realität, selbstgefällig und talentiert, in den Tod gingen, wobei der Zorn, den sie in den Deutschen weckten, eine Todesurteil für die Juden überall bedeutet.“ Der Autorin überkomme ein Schaudern, wenn sie Burgs „Denunziation jener Verhaltensweisen lese“, die sie bei ihren Forschungen zutage förderte. Für Hertz ging Burg zu weit. „Er gibt den Opfern die Schuld, und außerdem wirft er den Hass auf die assimilierten Juden und den Hass auf die traditionellen Juden in einen Topf.“ Seine Herausforderung „schmerzt“, da die Autorin ihr Bestes versucht hat, „die Konvertiten und das gesamte jüdische Vermächtnis in Deutschland zu verteidigen“.

Für die Vertreter der reinen zionistischen Lehre ist es immer noch ein Unding, dass nicht alle Juden in Israel leben. Unter den augenblicklichen neokolonialen Unterdrückungsregimen im Nahen Osten und der grassierenden Islamophobie in den US-amerikanischen und westeuropäischen Demokratien sollte das Fazit der Autorin einigen Scharfmachern dort wie hier doch zu denken geben. „Die Erkundung dieser vergangenen Leben muss uns, die wir heute leben, helfen, gute Entscheidungen über Nationen, Glaube und Familie zu treffen, in vollem Bewusstsein der Schwierigkeiten, Glück in einer Welt brutaler Zwänge zu finden.“ Wenn die augenblickliche deutsche Integrationsdebatte auf diesem Niveau weitergeführt, die Dämonisierung der islamischen Glaubensgemeinschaft fortgesetzt und der Krieg gegen den Islam nicht gestoppt wird, steuern wir auf eine Katastrophe zu. Die Lehre aus der Untersuchung für die bedrängte und stigmatisierte muslimische Minderheit kann nur lauten: keine Assimilation, sondern selbstbewusstes muslimisches Leben in einer demokratisch-säkularen Gesellschaft.

Ein mit großer Empathie geschriebenes Buch.

Freitag, 22. Oktober 2010

Christian Meier: "Das Gebot zu vergessen ..."

Liegt die Macht der „Bewältigung“ der Vergangenheit tatsächlich in der Erinnerung, um vor zukünftigen Verlockungen eines Gewaltregimes gefeit zu sein? In seinem Essay zeigt Christian Meier auf, dass im Laufe der Geschichte alle noch so grausamen Verbrechen dem Vergessen anheimgestellt worden sind, mit Ausnahme der Gräueltaten der Nazis am europäischen Judentum. Historisch siegte das Vergessen, um jedweden Rachegelüsten vorzubeugen. Für den Autor war mit den Verbrechen von Auschwitz etwas völlig „Ungeheuerliches“ auf die Bühne der Geschichte getreten. Auschwitz lasse ich weder „bewältigen“ noch „aufarbeiten“, so Meier. Er zeigt Verständnis für die Haltung von Bundeskanzler Konrad Adenauers, der „Vergangenes vergangen sein lassen“ wollte, um Abstand vom Grauen der Nazizeit gewinnen zu können, bevor die bundesrepublikanische Gesellschaft den Blick zurück wagen konnte, um dann fortzufahren:“Das Streben nach Vergessen war jedenfalls, (…) nur natürlich.“ "Aufs Ganze gesehen fragt sich, ob der Gesellschaft in den ersten Jahren der Bundesrepublik etwas anderes übrig blieb, als in dieser Situation zunächst einmal abzuschalten, sich taub zu stellen und das Geschehene zu beschweigen."

In der israelischen Gesellschaft haben weitsichtige Historiker wie Yehuda Elkana bereits 1988 in der Tageszeitung „Haaretz“ von einer „Notwendigkeit, zu vergessen“ geschrieben und auf die verheerenden Folgen einer Instrumentalisierung des Holocaust für Israel aufmerksam gemacht, ohne Erfolg. Elkana schreibt: „Ich sehe keine größere Bedrohung für die Zukunft des Staates Israel als die Tatsache, dass der Holocaust systematisch und gewaltsam in das Bewusstsein der israelischen Gesellschaft gedrungen ist, selbst in jenen großen Teil, der die Erfahrung des Holocaust nicht durchgemacht hat und selbst in jene Generation, die hier geboren und aufgewachsen ist. Zum ersten Mal verstehe ich den Ernst, die Schwere von dem, was wir tun, wenn wir jahrzehntelang jedes israelische Kind mehrfach Yad Vashem besuchen lassen. (…) Zu welchem Zweck? (…) ´Zechor!` kann leicht als Aufruf zum anhaltenden und blinden Hass verstanden werden.“ Hätte Elkana ähnliches nicht auch über den „Sinn“ der Reisen von israelischen Gymnasiasten/Innen nach Auschwitz schreiben können? Ein anderer mutiger israelischer Historiker, Moshe Zuckermann, hat in seinem jüngsten Buch „´Antisemit`. Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“, darauf hingewiesen, wie die Vergangenheit, insbesondere von der rechtsnationalistischen israelischen Regierung „instrumentalisiert“ werde, um Kritik an den Gewaltpolitiken der israelischen Regierungen mundtot zu machen.

Meier gibt seiner Skepsis an der permanenten Erinnerung am Ende seiner Ausführungen Ausdruck: „Daher ist es keineswegs ausgemacht, dass sich seit der unabweisbaren deutschen Erinnerung an Auschwitz alles anders verhält als früher. Die uralte Erfahrung, wonach man nach solchen Ereignissen besser vergisst und verdrängt als tätige Erinnerung walten zu lassen, ist noch keineswegs überholt. Und es ist keineswegs ausgemacht, dass tätige Erinnerung Wiederholung ausschließt.“ Meiers Buch fordert zum kritischen Weiterdenken - jenseits inhaltsleerer Ritualisierungen - auf.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Wider die islamophoben Rattenfänger

Wer sich nach der Sommerpause wieder im österreichischen Fernsehsender „Club 2“ unter dem Titel „Abendland in Gefahr: Kommt der Kampf der Kulturen?“ zu Gemüte geführt hat, musste sich verwundert die Augen reiben. Dieses vom US-amerikanischen Politologen Samuel Huntington propagierte Kulturkampfkonzept wird gerade weltweit in die Praxis umgesetzt; das Fragezeichen hätte nicht nur durch ein Ausrufezeichen ersetzt werden müssen, sondern der Titel hätte lauten müssen: „Der Kulturkampf des „christlichen“ Abendlandes gegen den Islam!“

Seitdem die US-amerikanischen Geostrategen und einige islamisch-reaktionäre Regime die Bedrohung des Westens und ihre eigene Existenz durch die islamische Revolution im Iran im Jahre 1979 festgestellt haben, gibt es eine systematische Dämonisierung des Iran. Das erste Land, das einer solchen Dämonisierung von Beginn der islamischen Rückeroberung des Landes das Wort geredet hatte, war Israel, wie bereits Israel Shahak in seinem Buch „Open Secrets“ 1997 festgestellt hat. An dieser Verteufelung hat sich bis heute nichts geändert. Der Iran, der den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat und nach diesem Vertrag ein ziviles Atomprogramm betreibt, wird von westlicher Seite verdächtigt, insgeheim ein Atomprogramm mit dem Ziel des Baus einer Atombombe zu verfolgen. Dafür gibt es bis heute keinerlei Beweise. Selbst die 16 Geheimdienste(!) der USA haben dies 2007 einmütig festgestellt. Die einzige Macht, die gegen diese Einschätzung Sturm lief, war die israelische Regierung im Verbund mit ihren neokonservativen und christlich-fundamentalistischen Helfershelfern in den USA. Aber erst kürzlich ist der CIA-Direktor Leon Panetta von dieser Einschätzung abgerückt, da die USA zusammen mit Israel wahrscheinlich einen Angriff auf dieses Land planen, wenn nicht sogar schon einen solchen beschlossen haben, wie in einschlägigen Medien immer wieder berichtet wird. Über das riesige Atomwaffenarsenal Israels redet der Westen geflissentlich nicht, und Israels Weigerung, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, wird in diesem Fall als „Quantitè négligeable“ betrachtet.

Die US-Amerikaner haben bereits Anfang der 1980er Jahre versucht, die iranische Regierung zu stürzen, weil sie den „islamischen Fundamentalismus“ als Gefahr für die Stabilität und den Verlust des westlichen Einflusses fürchteten. Ausersehen dafür war kein geringer als der irakische Despot Saddam Hussein, damals noch ein guter Freund der USA. Kein geringer als der spätere Kriegsminister Donald Rumsfeld hat ihm 1983 einen devoten Besuch abgestattet, beste Grüße von US-Präsident Ronald Reagan überbracht und ihm die Lieferung von Giftgas zugesagt, die Saddam dann gegen die Kurden im Nordirak und gegen die iranischen Truppen eingesetzt hat, ohne das Iran mit gleicher Münze zurückgezahlt hätte. Diese Haltung der iranischen Führung ist auch deshalb konsequent, weil alle religiösen Rechtsgutachten der obersten iranischen Führung (Fatwas) Atom- und andere Massenvernichtungswaffen als unislamisch verworfen haben. Der US-amerikanische dominierte Westen erkennt diese ethische Haltung aus rassistischen Gründen nicht an. Man unterstellt der iranischen Führung, nicht nur die Unwahrheit zu sagen, sondern man hält sie auch für „irrational“! Wenn man sich die Entscheidungen der US-amerikanischen Regierung von George W. Bush und dessen Berufungen auf „religiöse“ Eingebungen bei seinen geplanten völkerrechtswidrigen Überfällen auf Afghanistan und Irak ansieht, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, wo eigentlich die „Irrationalen“ beheimatet sind?

Dieser Rückblick und die Anschläge vom 11. September 2001 haben wesentlich dazu beigetragen, dass es zu einer solchen aggressiven antiislamischen Haltung in den USA und Westeuropa kommen konnte. Gleichwohl hätte sich diese Islamophobie nicht zu diesem Massenphänomen entwickeln können, wenn es nicht bereits ein „Unbehagen“ gegenüber dem Islam gegeben hätte. Dieses „Unbehagen“ wird in Österreich von einer sich als „Freiheitlich“ bezeichnenden Partei massiv gefördert. Ihr neuster Wahl-„Gag“ lautete: „Sarrazin statt Muezzin“ in Anspielung auf das biologistisch argumentierende Buch „Deutschland schafft sich ab“ des ehemaligen Vize-Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Thilo Sarrazins.

In österreichische Talkshows werden dagegen deutsche Journalisten geladen, die ihre antiislamischen Thesen verbreiten können. Der Ex-FAZ-Journalist und Buchautor Udo Ulfkotte hat sich „einen Namen“ damit gemacht, das er in seinen Büchern eine antimuslimische Klaviatur bedient, welche die bereits vorherrschenden Vorurteile gegen diese Bevölkerungsgruppe fördert. Je einseitiger seine Bücher werden, desto geringer wird die Neigung der Verlagslandschaft, solche Produkte zu verlegen. Folgerichtig sind seine letzten Buchveröffentlichungen nur noch im Kopp-Verlag erschienen. So schreibt Sebastian Friedrich am 4. Februar 2010 auf „stadtweb.de“, der Stattzeitung für Südbaden, über den Verlag: „Der Kopp-Verlag auf pseudowissenschaftliche Themen im Bereich der Esoterik spezialisiert. Doch vermehrt werden neben dem bekannten Aushängeschild Erich von Däniken auch Kontakte zu anderen Personen gepflegt. So vertreibt der Verlag Bücher der Revisionisten Jan Udo Holey („Jan van Helsing“) und Gerd Schultze-Rhonhoff. Letzterer behauptet in seinem Buch „1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte“, dass Hitler bis zum Herbst 1939 keinen Krieg wollte. Schultze-Rhonhoff ist ein gefragter Interviewpartner für einschlägig bekannte Zeitungen wie der National-Zeitung und der Jungen Freiheit. Außerdem bietet der KOPP-Verlag das von Robert L. Brock herausgegebene Buch „Freispruch für Deutschland“ an, in dem unter anderem der Holocaust-Leugner David Irving als Experte für die Widerlegung „antideutscher Geschichtslügen“ zu Wort kommt.“ Ein Verlag also „zwischen Rassismus, Revisionismus und Verschwörungsphantasien“.

Die Club 2-Sendung lief dem Moderator Michael Köhlmeier völlig aus dem Ruder. Das Chaos, das den Zuschauern/innen geboten worden ist, ist einem überforderten und unzureichend vorbereiteten Journalisten anzulasten. Er „verkaufte“ der Öffentlichkeit Ulfkotte nicht nur als „Sicherheitsexperten“, er wollte auch gerne bestätigt haben, dass er als Gast einen „Terrorexperten“ eingeladen habe, der in Wirklichkeit eher einem Islamophobie-Experten glich. Die diversen westlichen Islamexperten zeichnet aus, dass sie kaum noch ihre eigenen christlich-verwurzelten Gesellschaften adäquat erklären oder begreifen können, um wie viel unzureichender sind ihre „Expertisen“ über die Komplexität der arabischen oder gar der iranischen Gesellschaft. So ist es nicht verwunderlich, dass sie und die so genannten „Think Tanks“ in den USA und anderer westlicher Staaten Zerrbild-Analysen dieser Gesellschaften erstellen, die als Vorlagen für Angriffskriege gedient haben und wieder dienen könnten.

Udo Ulfkotte betreibt neben seiner eigenen Website, die sehr seriös wirkt, eine weitere mit dem Titel „Akte Islam – Für Europa gegen Eurabien“, für die er im Sinne des Presserechts verantwortlich zeichnet. Dort werden unzählige Vorgänge und Beiträge zusammengestellt, welche Vorurteile gegenüber dem Islam fördern können. „Ulfkotte sorgte Ende 2008 für einen Paukenschlag, indem er den von ihm gegründeten Verein „Pax Europa“ aufgrund „volksverhetzender, rassistischer Karikaturen im Stürmer-Stil“ und der Befürchtung, sein gemeinnütziger Verein würde sich zu einer Plattform für „rechtsradikale Radaubrüder“ entwickeln“, verließ. Fachleute beurteilen diese Abgrenzung als einen Schritt rein „taktischer Natur“ und verweisen auf sein Buch „SOS Abendland – Die schleichende Islamisierung Europas“, in dem sich einige krude anti-islamische Stereotypen befänden.

In seinem jüngsten Buch, das wieder im Kopp-Verlag erschienen ist, geht es Ulfkotte u. a. darum, den Sozialstaat als Beute von schmarotzenden Migranten darzustellen. So schreibt er: „Jeder Zuwanderer aus einem nichtwestlichen Land, der zwischen 25 und 35 Jahren alt ist, kostet die öffentliche Hand im Laufe seines Lebens – statistisch gesehen - 40 000 bis 50 000 Euro.“ Dass all die Unzumutbarkeiten, welche die Sozialsysteme zu verkraften haben, nicht öffentlich diskutiert werden können, hat Ulfkotte den „Feind“ bereits ausgemacht: „Wir sind umzingelt von einer Unkultur der politischen Korrektheit, die auf allen Gebieten unseres täglichen Lebens horrende Schäden anrichtet. Es wird allerhöchste Zeit, über diesen ganzen Irrsinn der Migrations- und Integrationsindustrie sowie ihre verkommenen Unterstützter in Behörden, Politik und Medien zu sprechen, und zwar ohne Tabus. Anschließend müssen wir den Schwachsinn ein für allemal abstellen.“

In Deutschland haben immer wieder Politiker aller Parteien (Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher u. v. a.) vor einer unkontrollierten Einwanderung gewarnt. Geschehen ist anscheinend nichts, wie das Buch von Thilo Sarrazin belegt. Aber diese unkontrollierte Zuwanderung ist nicht nur auf Deutschland beschränkt: es gibt sie in Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Spanien, der Schweiz, Großbritannien, den USA und anderen Industriestaaten. Aber seit dem 11. September 2001 hat dieses Phänomen eine antiislamische Wendung genommen. „Der“ Islam mutierte zum neuen Feindbild des Westens. Seither führt „der“ Westen einen Krieg gegen diesen Kulturkreis, so wie Huntington es „vorausgesagt“ hat.

Mit Thilo Sarrazin hat erstmalig ein Mitglied der bundesdeutschen politischen Klasse die Missstände einer verfehlten Integrationspolitik gebündelt zwischen zwei Buchdeckeln veröffentlicht. Den dort zusammengetragenen unzähligen Richtigkeiten haftet jedoch ein wesentlicher Makel an: ihr Subtext beruht auf einem rassistischen Biologismus, der nicht davor zurückschreckt, die Menschen in verscheidenartige Genotypen einzuteilen („Juden-Gen“). Diese Selbstdisqualifizierung hat Sarrazin persönlich und beruflich schwer geschadet. Nichtsdestotrotz erfreuen sich seine Thesen größter Popularität und werden sicherlich der politischen Klasse eine Debatte aufzwängen, die sie seit Jahren gescheut hat, zu führen, weil es ein „gesellschaftliches Unbehagen“ gegen Muslime und den Islam in allen europäischen Staaten gibt.

Zuerst erschienen in: International. Zeitschrift für Internationale Politik, (2010) 3, S. 33 f.

Montag, 11. Oktober 2010

Jüdischer Fundamentalismus in Israel

In jüngster Zeit hat die israelische Tageszeitung „Ha´aretz“ Artikel zum jüdischen Fundamentalismus in Israel veröffentlicht. Er stellt eine ernsthafte Gefahr für den Bestand Israels als einer jüdisch-demokratischen Gesellschaft dar. Die diversen israelischen Regierung haben den öffentlichen Kredit, den das Land im Allgemeinen noch im westeuropäisch-US-amerikanischen Ausland genießt, durch ihre stillschweigende Duldung dieses extremistischen Phänomens fasst völlig aufgebraucht, dies trifft insbesondere auf die im Augenblick regierende rechtsnationalistische Regierung unter Ministerpräsident Benyamin Netanyahu zu, die sich einen Außenminister leistet, der von einigen israelischen Analysten als „faschistisch“ bezeichnet wird.

Jüdischer Fundamentalismus und Rechtsextremismus in Israel sind leider keine neuen Phänomene. Bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre konnte man diese selbst als Außen stehender Beobachter - ohne die üblichen Pro-Israel-Scheuklappen - deutlich erkennen. Vor undenklichen Zeiten war es in der Bundesrepublik Deutschland in einigen Zeitschriften noch möglich, darüber sine ira et studio zu schreiben. Heute scheint dies selbst in so genannten linken Publikationsorganen wie der „taz“ oder „Der Freitag“ völlig ausgeschlossen, die schräge „Israeldebatte „ in der taz legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Die bundesrepublikanische Medienlandschaft hat sich gegenüber einer realistischen Berichterstattung über die politische Wirklichkeit Israels immunisiert. Es gibt in punkto Widerspiegelung der Vorgänge in Israel eine „Schweigespirale“ wie weiland gegenüber gewissen politisch nicht korrekten Phänomenen in Deutschland, wie es die „Grande Dame“ der Meinungsforschung, Elisabeth Noelle-Neumann, meinte damals feststellen zu müssen.

Welche extremistischen Formen dieser Fundamentalismus angenommen hat, zeigt das Buch zweier Rabbiner in Israel. Zvi Barel zitiert in „Ha´aretz“ vom 22. August 2010 unter dem Titel „Fundamentalism into the mainstream“: "A soldier who takes part in the war against us, but does so only because he is forced to by threats, is an absolute villain .... We are referring to any sort of participation in the war: a combat soldier, a support soldier, civilian assistance or any form of encouragement and support." And: "Even if civilians are tied up or imprisoned and have no choice but to stay and serve as hostages, it is possible to kill them."

Und so geht es weiter in dieser faschistischen Ideologie: "In discussions on the killing of infants and children ... it is reasonable to harm children if it is clear they will grow up to harm us. Under such circumstances they should be the ones targeted." And finally: "There is no need to discuss the question of who is and is not innocent, just as when we are defending against evil we do not hesitate to strike at limbs that were not actually used in actions against us." Dieses sind Zitate aus "The King's Torah" ("Torat Hamelech") der Rabbiner Yitzhak Shapira and Yosef Elitzur. Barel berichtet weiter, das zahlreiche einflussreiche Rabbiner diese beiden in ihren Ansichten unterstützt haben. Diese Zitate bilden die Grundlage einer Untersuchung wegen „Rassismus“ und „ vermuteter Aufwiegelung“. Die beiden Rabbiner haben eine Befragung seitens der Behörden mit dem Argument verweigert, diese käme einer Anklage oder Befragung wegen ihrer freien Meinung gleich. Barel resümiert folgerichtig, dass dadurch das halachische (jüdische) Gesetz über dem staatlichen stehen würde. Der Chefrabbiner der Extremisten-Siedlung Kiryat Arba, in der auch der Massenmörder Baruch Goldstein als „Märtyrer“ verehrt wird, Dov Lior, ist seinen Rabbiner-Kollegen argumentativ beigesprungen, indem er schreibt: "The harassment of the rabbis because of their halakhic views stands in direct opposition to the principles of freedom of religion and expression that are accepted by the state." In keinem westlich-demokratischen Staat würde solche eine Ansicht hingenommen, die sogar die präventive Tötung von Kleinkindern aufgrund einer eingebildeten später prospektiven „Gefahr“ beinhalten würde, wie die Rabbiner Shapira und Elitzur schreiben. Zvi Barel kommentiert also eine in Israel weithin bekannte Tatsache, wenn er schreibt: “Nothing new, so far. Fundamentalist rabbis have approved murder, attacks on Arabs and their property, the illegal takeover of land, racist segregation between Ashkenazi and Mizrahi female pupils, and have ignored (at least) the murder of a prime minister. After all, the source of authority of those same rabbis, the book of books, is full of hair-raising descriptions of the vengeance exacted by the Children of Israel on the peoples of this land.”

Als im November 1995 der damalige Ministerpräsident Yitzhak Rabin von einem rechtsextremistischen religiösen Fanatiker bei einer Friedensdemonstration in Tel-Aviv erschossen worden ist, hat das politische Establishment Israels seine Augen vor den wahren Ursachen dieses Attentats verschlossen. Nur wenige, unter ihnen Israel Shahak, deckten die wirklichen Ursachen dieses politisch-religiös-motivierten Mordes auf. Für Shahak gründeten sie in der Halacha, dem jüdischen Gesetz, so wie jetzt wieder Rabbiner ihre antidemokratischen Ansichten über die Palästinenser mit „Gesetzesvorschriften“ aus der Halacha begründen. Schon damals war bekannt, das führende Rabbiner eine „jüdische Fatwa“ gegen Rabin erlassen hatten, auf die sich sein Mörder Yigal Amir immer wieder berufen hat, ohne deren Inspiratoren zu nennen. Aber nicht nur das religiös-extremistische Establishment Israel trägt Verantwortung für die Ermordung Rabins, sondern auch die damaligen Vertreter der Likud-Partei. Sie haben öffentlich gegen den Ministerpräsidenten gehetzt. Nicht ohne Grund hat Lea Rabin damals die ausgestreckte „Beileids spendende“ Hand von Benyamin Netanyahu verweigert. Das folgende Buch gibt einen ersten, erschreckenden, aber aufschlussreichen Blick in die Welt des jüdischen Fundamentalismus in Israel.

Der jüdische Fundamentalismus in Israel hat seine Wurzeln in den orthodoxen Glaubensvorstellungen. Er übt einen verheerenden Einfluss auf alle Bereiche der israelischen Gesellschaft aus, insbesondere das Militär und die Politik. Jüdischer Fundamentalismus ist nichts ungewöhnliches, steht er doch neben christlichem, islamischem und hinduistischem Fundamentalismus. Im Westen wird der islamische Fundamentalismus jedoch geschmäht, jüdischer Fundamentalismus dagegen ignoriert. Dies trifft insbesondere auf die Berichterstattung westlicher Medien zu, die essentielle Fakten nicht berichten, sich einer oberflächlichen Analyse bedienen und folglich oft irreführend ist. Dagegen wird in der hebräischen Presse offen und sehr kritisch über diese innerisraelischen Missstände berichtet; der Duktus der Beiträge würde in den westlichen Medien als „antisemitisch“ inkriminiert werden.

Allen Fundamentalismen ist eine „goldene Zeit“ eigen, die es wiederherzustellen gilt. In der ersten Netanyahu-Regierung (1996-1999) trat das fundamentalistisch-nationalistische Phänomen bereits offen zutage. Heute ist es noch offensichtlicher durch die Regierungsbeteiligung der als rechtsextremistisch geltenden Partei „Israel Beiteinu“. Der Wahlsieg Ehud Baraks 1999 hat die Brisanz des jüdischen Fundamentalismus für Beobachter Israels jedoch wieder in den Hintergrund treten lassen. Fälschlicherweise, wie die Autoren meinen. Für sie stellt der Fundamentalismus weiterhin eine ernste Gefahr für den demokratischen Bestand Israels dar. Diese Warnung der Autoren erhält eine zusätzliche Brisanz, weil Netanyahu 2009 wieder Regierungschef einer rechtsnationalistisch-religiös-fundamentalistischen Regierung geworden ist, die sich einen Außenminister leistet, der nach westeuropäischen demokratischen Standards keine Karriere gemacht hätte. Beruhigend für Israel, auch in Europa und den USA erodieren die Wertmaßstäbe.

Jüdischer Fundamentalismus ist der Glaube, dass die jüdische Orthodoxie, die auf dem babylonischen Talmud, des talmudischen und halachischen Schrifttums beruht, noch gültig ist und ewig Gültigkeit beanspruchen wird. Die jüdischen Fundamentalisten glauben, dass das Alte Testament nur dann als autoritativ angesehen werden kann, wenn es anhand des talmudischen Schrifttums interpretiert wird.

Die Autoren vertreten die These, dass der jüdische Fundamentalismus nur dann zu verstehen ist, wenn man die historische Periode identifiziere, die die Fundamentalisten wiederherstellen wollen. Sie teilen die Geschichte des Judentums in vier Perioden ein. Die jüdischen Fundamentalisten haben die Zeit von 1550 bis 1750 als die „goldene Zeit“ des Judentums beschrieben, in der die große Mehrheit der Juden die Kabbala und ihre Regeln akzeptierte. Diese Ära sollte wiedererstehen.

In Israel gibt es eine große Anzahl von Fundamentalisten und Extremisten. Einer der ersten war der Rabbiner Abraham Kook, der „jüdische Überlegenheit“ predigte. "The difference between a Jewish soul and souls of non-Jews - all of them in all different levels - is greater and deeper than the difference between a human soul and the souls of cattle." Eines ihrer gemeinsamen Ziele sei die Errichtung des jüdischen Tempels auf dem Haram al-Sharif (Tempelberg). Wenn dies nicht zu erreichen sei, dann solle der Platz, auf dem die islamischen Heiligtümer - Felsendom und Al-Aksa-Moschee - stehen, von Besuchern freigehalten werden. Die Bedeutung des jüdischen Fundamentalismus lässt sich nach Ansicht der Autoren nur in dessen Beitrag zur Spaltung der israelischen Gesellschaft verstehen. Diese drücke sich insbesondere in der Tatsache aus, dass die Linke in Israel die Normalität anstrebt und wie jedes andere Volk leben will - dies ein zentrales Dogma des säkularen Zionismus - wohingegen die Rechte und die Fundamentalisten die Einzigartigkeit des jüdischen Volkes betonen und sich bewusst von anderen Völkern unterscheiden wollten. „Juden sind und können kein normales Volk sein. Ihre Einzigartigkeit beruht auf dem ewigen Bund mit Gott“, so Vertreter der Siedlerbewegung Gush Emunim (Block der Getreuen), der von Rabbi Tzvi Yehuda Kook gegründet worden ist. Dies geht dann sogar soweit, dass aufgrund des „jüdischen Blutes“ Juden zu einer anderen Kategorie gehören als Nicht-Juden. „Für religiöse Juden hat das Blut eines Nicht-Juden keinen wirklichen Wert; für Vertreter des Likud besitzt es einen relativen“ so die Autoren. Die innerjüdische Diskussion, die von ranghohen Vertretern der Fundamentalisten wie Rabbi Ovadia Yoseph, dem geistigen Oberhaupt der Shas-Partei, und anderen Vertretern des religiösen Establishments und der Nationalreligiösen Partei (NRP) zu diesen Fragen geführt werden, mutet mehr als bizarr an. Die Autoren betonen mehrmals, dass sich diese Diskussion nie in der englischen Literatur wiederfinde bzw. im Ausland völlig unbekannt sei.

Das Buch bietet einen erstklassigen Überblick in die verschiedenen fundamentalistischen Strömungen wie der Haredim, die sich in aschkenasische (europäische) und sephardische (orientalische) Juden teilen, den Vertretern der NRP und des Gush Emunim. Des Weiteren werden die Bedeutung des Massenmörders Baruch Goldstein, der in der Ibrahim-Moschee in Hebron 29 betende Muslime niedermetzelte, und der religiöse Hintergrund des Attentates auf Ministerpräsident Yitzhak Rabin religiös eingeordnet. Beide politische Ereignisse seien ohne die religiöse Tradition der Bestrafung und Tötung von „Häretikern“ nicht zu verstehen.
Shahak und Mezvinsky haben ein provokantes und faszinierendes Buch geschrieben. Es erschließt dem Leser Bilder des Judentums und eines Teils der israelischen Gesellschaft, die nicht in das Wunschbild vieler Lobbyisten, Israelfans und politisch Naiver passen wollen. Vielleicht geben diesen Fans die Worte des langjährigen Autoren des „Jerusalem Reports“ vom April 2001, Ze´ev Chafets, zu denken: „The Arabs can`t destroy Israel, but the rabbis can. The rabbis can do that by turning Israel into the kind of political entity that Jews lived in for 2,000 years, by turning it into a place governed by clerical law and clerical thinking which had become so backward and xenophobic that Israel wont`t be able to function as a state.” Das Buch ist unbequem, aber aufschlussreich. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre sinnvoll. Oder soll auch dieses spannende und interessante Buch dem „Traumbild“ geopferte werden und der „Schweigespirale“ in Deutschland anheimfallen?

Zuerst erschienen in: Der Semit. Unabhängige jüdische Zeitschrift, (2010) 5, S. 66-68.

Israel Shahak/Norton Mezvinsky, Jewish Fundamentalism in Israel, Pluto, 2. Aufl., 2010, Neuauflage 2004 (1999), 176 Seiten.

Freitag, 8. Oktober 2010

Barack Obama der „Drohnenkrieger“

Pakistan hat die Faxen dicke mit den US-amerikanischen Drohnenangriffen gegen seine Soldaten und mutmaßliche „Taliban“ auf seinem Territorium. Bei diesen Angriffen, die von Militärstützpunkten in den USA gesteuert werden, kommen nach pakistanischen Angaben bis zu 90 Prozent Zivilisten zu Schaden. In „The Nation“ vom 6. Oktober 2010 war in Bezug u. a. auf die Tötung pakistanischer Soldaten im Artikel „Nato´s unjust stand“ Folgendes zu lesen: „NATO Secretary General Rasmussen’s brazen admittance that the helicopter gunships’ attack on Pakistan’s territory was deliberately carried out shows how lightly the invaders of Afghanistan regard our sovereignty. The remark that he made in a meeting with Foreign Minister Shah Mahmood Qureshi was also intended to convey the message that NATO forces equate Pakistan’s territory with the killing fields of Afghanistan. The barefaced impudence with which he made the statement also points to America’s sinister plan to extend the Afghan war into Pakistan. If the Secretary General has himself stated that the attacks were deliberate, it is clear that his offer of carrying out a joint investigation is nothing but absolute nonsense meant to further confuse the Pakistani nation.” Der US-Botschafter in Pakistan hat sich für das Verhalten seines Landes offiziell entschuldigt.

Die Tötung überwiegend Unschuldiger durch unbemannte, ferngesteuerte Flugkörper ist rechtlich mehr als fragwürdig. Verfügt die pakistanische Armee nicht über ein Luftabwehrsystem, um den pakistanischen Luftraum und die Souveränität des Landes zu verteidigen? Erst kürzlich hat Pakistans Generalstabschef, General Mirza Aslam Beg, gefordert, die Drohnen abzuschießen. Mit der Ausweitung des „Krieges gegen den Terror“ unterminieren die westlichen Besatzungstruppen die politische Stabilität eines bereits strauchelnden Landes weiter. Folglich gibt es in Pakistan einen Anti-Amerikanismus, der sich fast der 100-Prozent-Marke nähert. Die Ablehnung der „Taliban“ (ein Synonym für alle, welche die westliche Besetzung ihrer Länder ablehnen), bewegt sich gerade einmal bei 20 Prozent. Trotz dieser eindeutigen Stimmungslage versucht die Obama-Regierung, den Krieg auf dieses Land auszuweiten. Dies geschieht „schleichend“ wie weiland in Kambodscha und Laos. Pakistan ist nach Indonesien das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung (175 Millionen), knapp gefolgt von Indien und Bangladesch. Dies ist nicht nur die Ausweitung des ominösen „Krieges gegen den Terror“, sondern ein völlig neuer Krieg, der sich gegen den Islam richtet. Spätestens jetzt müsste die Geschäftsgrundlage für die anderen kriegswilligen Staaten entfallen.

Bereits der völkerrechtswidrige Angriff der USA auf Afghanistan und später der Überfall auf den Irak entbehrten jeglicher rechtlicher Grundlage. Nach den 9/11-Terroranschlägen in den USA reklamierte das Land einen „Bündnisfall“ nach Artikel 5 des Nato-Vertrages für sich, um das Bündnis endlich globalisieren zu können. Dafür lagen aber die Voraussetzungen nicht vor. Weder wurden die USA von einem Staat angegriffen, noch stand ihre Souveränität in Frage. Es gab Terroranschläge, die von Kriminellen innerhalb der USA ausgeführt worden sind. Gleichwohl beschloss der Nato-Rat den Bündnisfall. Diese Fehlentscheidung war wohl dem allgemeinen Schock der 9/11-Anschläge geschuldet. Dies war nicht nur eine völlig falsche, sondern auch eine verhängnisvolle Entscheidung. Diese monströse Tat hätte gemäß Völkerrecht und inneramerikanischem Recht geahndet werden können. Auf völkerrechtlicher Ebene durch die „Montreal Sabotage Konvention“ von 1971 wie im Lockerbie-Fall und durch die Durchsetzung der US-Strafgesetze, in denen eindeutig geregelt ist, was terroristische Akte sind. Auch die Terroranschläge in Kenia und Tansania wurden nach US-Strafrecht als terroristische Akte eingestuft. Die Bush-Regierung hatte daran aber kein Interesse, weil der Angriff auf Afghanistan das Präludium für den lange geplanten Überfall auf den Irak abgeben sollte. Die „Bush-Krieger“ gehörten fast alle dem „Project for the New American Century“ an und hatten bereits in mehreren Schreiben an den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton für einen Sturz von Saddam Hussein getrommelt. Der Sturz Saddams hatte - unabhängig von 9/11 - oberste Priorität in der Bush-Administration, und zwar von Beginn an.

Bei den bevorstehenden Nato-Gipfeln sollte es nicht um eine Umdeutung der Strategie von einer defensiv-eurozentrierten in eine globale Kriegsführungsstrategie gehen, sondern um die Auflösung der Allianz. Ihre Raison d´etre war mit dem Ende des Kalten Krieges entfallen. Warum sollen länger europäische Mächte Milliarden von Euro in den Sand oder das Leben ihrer Soldaten aufs Spiel setzen, wo es sich doch bei den Kriegen in Afghanistan, Irak, Pakistan und - vielleicht in absehbarer Zeit – Iran um rein amerikanische Kriege handelt? Die US-amerikanischen geostrategischen Neuordnungsvorstellen Zentralasiens liegen nicht im europäischen Interesse, schon gar nicht im russischen, chinesischen oder jedes anderen Staates in der Region. Für eine Auflösung spricht auch der von Georgien mit Unterstützung der „Bush-Krieger“ angezettelte Angriff auf die russische Enklave. Hätte man Georgien in die Nato aufgenommen, wie es die „Bush-Krieger“ wollten, wäre der Frieden in Europa perdu gewesen.

Nach Artikel 87 a, 26, 115 Grundgesetz (GG) ist jedweder Angriffskrieg untersagt, Verteidigung bezieht sich immer nur auf die Abwehr eines Angriffs auf das eigene Territorium. Artikel 25 räumt sogar dem Völkerrecht prioritäre Geltung bei, wenn es heißt: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Da das Völkerrecht den Angriffskrieg ächtet, ist es selbstredende, das jeder einem Angriffskriegsverbot unterliegt. Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland sich nach Artikel 24 GG einem kollektiven Sicherheitssystem einfügen kann, dann nur, um den Frieden in Europa und zwischen den Völkern zu wahren. Der Weltfriede wurde aber nicht durch die 9/11-Terroranschläge bedroht, ergo lag kein Bündnisfall nach Artikel 5 Nato-Vertrag vor, ergo ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Völkerrechtswidrig.

Die Terrorwarnung des US-Geheimdienstes der letzten Tage dient auch dem Zweck, die Länder Westeuropas in eine Art „Terrorhysterie“ zu versetzen. Das der deutschen Regierung keine verwertbaren Erkenntnisse vorliegen, wird von Experten dahingehend gedeutet, dass die deutschen Geheimdienste nicht alle Informationen von ihren US-amerikanischen „Freunden“ erhalten, wie es z. B. bei anderen Diensten der Fall ist. Deutschland gelte als „unsicherer Kantonist“. Ein weiterer Grund mag darin liegen, dass der Deutsche Bundestag in Kürze über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes neu entscheiden muss. Trotz dieser gestreuten „Terrorwarnungen“ hat der Bundesinnenminister äußerst souverän reagiert und alles getan, dass sich in Deutschland keine Hysterie breitmachen kann wie in den USA. Es muss in Europa alles getan werde, um die bereits grassierende Islamophobie samt „Feindbild Islam“, welches das kommunistische Feindbild ersetzt hat, zu widerstehen. Das Problem mit „dem“ Islam ist ein Problem, das die US-amerikanischen Ideologen vom Schlage der Neokonservativen und der Armageddon-„Christen“ sowie die kleinbürgerlich-spießigen Extremisten der Tea-Party-Bewegung haben. Es dient ausschließlich dazu, die geostrategische Expansion der USA in Zentralasien und anderen Teilen der islamischen Welt weiter voranzutreiben.

Obama selbst ist nur noch ein Schatten seiner Rhetorik. Er ist ein getriebener der Neokonservativen und der mit ihnen verbündeten Medien sowie ein „Gefangener“ des militärisch-industriellen Komplexes. Diese Kreise behaupten, dass Pakistan eine große Bedrohung der US-amerikanischen Interessen darstelle und folglich in seine Einzelteile zerlegt werden müsse, und zwar in einzelne Ministaaten entlang ethnischer Kriterien wie im Irak geschehen. Gleiches wurde kürzlich von George W. Bush's ehemaligen stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater Robert D. Blackwill für Afghanistan vorgeschlagen. Ein solcher Irrsinn hat in diesen Kreisen Methode, gehen doch die neokonservativen Ideologen und ihre „willigen Helfershelfer“ von einem permanenten Krieg der USA gegen die muslimische Welt aus, wie es im Slogan vom „Islamfaschismus“ zum Ausdruck kommt. Mit dem alten kolonialen Herrschaftsinstrument des divide et impera ließen sich die beiden Länder vermutlich leichter kontrollieren.

Wenn sich auf absehbare Zeit nicht die politische Vernunft innerhalb der politischen Klasse der USA durchsetzt, sollten die Europäer dem US-amerikanischen Abenteurertum ihre Unterstützung entziehen. Es gibt keinen „Krieg der Kulturen“, sondern dieser wurde von US-amerikanischen Wissenschaftsideologen erfunden, um die Hegemonie der USA weiter auszudehnen. Was der Drohnenkrieg anrichtet, wird aus dem Dialog zwischen dem verurteilten Times Square-Autobomber Faisal Shahazd und der Distrikt Richterin Miriam Cederbaum deutlich. Auf die Frage der Richterin, ob er sich am Times Square umgeschaut und er dort auch Kinder gesehen habe, entgegnete er: "Well, the drone hits in Afghanistan and Iraq, they don't see children, they don't see anybody. They kill women, children, they kill everybody. It's a war, and in war, they kill people. They're killing all Muslims." Und später fügte er noch hinzu: "I am part of the answer to the U.S. terrorizing the Muslim nations and the Muslim people. And, on behalf of that, I'm avenging the attack. Living in the United States, Americans only care about their own people, but they don't care about the people elsewhere in the world when they die." Das Problem der westlichen Besatzungsarmeen kommt in der Überschrift von Bruce Feins Artikel in “The Huffington Post” zum Ausdruck: “Predator Drones: Bin Laden´s best friends“.

Der Westen sitzt einem Neo-Orientalismus auf, der die islamische Welt und Teile ihrer politischen Elite für „irrational“, ja sogar für „cracy“ hält. Dieses Zerrbild des Orients liegt auch der grassierenden Islamophobie in den USA und weiten Teilen Westeuropas zugrunde. Ob es dem Westen passt oder nicht, seine neokolonialen Kriege werden von den muslimischen Völkern als Kriege gegen den Islam und die muslimische Welt gesehen. Übrigens: Der Krieg in Afghanistan ist für den Westen bereits verloren. Es kann für die größte Militärallianz nur noch darum gehen, ohne „Gesichtsverlust“ aus dem selbstverschuldeten Schlamassel herauszukommen.