Freitag, 7. Oktober 2011

Nichts wird gut in Afghanistan!

Als die ehemalige Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Margot Käßmann, in ihrer Neujahrspredigt 2010 feststellte, das nichts gut in Afghanistan sei, fiel die versammelte politisch-mediale Klasse über sie her und schüttete Kübel voller Häme über ihr aus. Am 10. Jahrestag des Überfalls des Landes im Rahmen einer so genannten Operation „Enduring Freedom“ kann man lapidar das Scheitern des Afghanistan-Abenteurers durch die westlichen Kolonialmächte konstatieren. Aus einer „Operation andauernde Freiheit“ (Enduring Freedom) ist eine „Operation andauernde Besatzung“ geworden. Die westlichen Truppen, die den Afghanen die Segnungen in Form westlicher Werte bringen wollten, haben sich am Hindukusch festgebissen und den „befreiten“ Afghanen das hässliche Gesicht des ewigen Besatzers gezeigt. Selbst der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Harald Kujat, erklärte das Afghanistan-Abenteuer für gescheitert. Selbst der Ex-Kommandeur der ISAF-Truppen, der US-amerikanische General Stanley McChristal, zeichnete ein düsteres Bild der US-geführten Mission. McChrystal wurde von US-Präsident Barack Hussein Obama geschasst, weil er von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hatte und der Obama-Administration im Weißen Haus indirekt Ahnungslosigkeit bescheinigt hatte.

Den deutschen Steuerzahlern/Innen hat das Afghanistan-Abenteuer nach Berechnungen des DIW zirka 17 Milliarden Euro gekostet. Nach offiziellen Angaben sind bisher 52 Soldaten in diesem Krieg gefallen. Etwa 200 wurden verwundet, 1 800 sind traumatisiert und bedürfen ständiger medizinischer Behandlung. Die Opferzahlen bei den deutschen Spezialkräften sind nicht bekannt. Ein Ende dieser Besatzung ist nicht in Sicht. Angeblich soll das Abenteuer 2014 beendet sein, „sofern es die Sicherheitslage zulässt“. Dass die Sicherheitslages es natürlich nicht zulassen wird, pfeifen die Spatzen jetzt schon täglich von den Dächern Kabuls. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man sich den jüngsten Angriff einiger Taliban auf die US-Botschaft vergegenwärtigt. In Afghanistan befinden sich zirka 140 000 westliche Besatzungstruppen, plus die gleiche Anzahl angeheuerter Söldner, Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten und NGO-Mitarbeitern. Die Kosten der anderen Staaten dürften sich zusammengenommen in den Billionen Eurobereichen bewegen. Zum Beispiel kostet den USA ihr Afghanistanabenteuer monatlich 6,7 Milliarden US-Dollar. Der Irak-Krieg ist da mit 5,5 Milliarden US-Dollar im Monat noch verhältnismäßig günstig. Die USA versenken also mehr als 12 Milliarden US-Dollar im Monat, wohingegen die Armut im „Land er unbegrenzten Möglichkeiten“ grassiert, die Infrastruktur zerfällt und die Plutokratie weiter wächst. Am Ende dürfte der Nutzen dieses militärischen Engagements gegen Null gehen, wenn man sich das Schicksal anderer Afghanistanabenteuer wie z. B das der Briten und der Sowjets vor Augen führt.

Ergriffen von den tragischen Ereignissen des 11. September 2001 versicherte Bundeskanzler Gerhard Schröder der Bush-Administration und dem US-amerikanischen Volk „uneingeschränkte Solidarität“, was ihn aber nicht verpflichtete, in einen Krieg mit einzutreten. Die US-Regierung hatte von ihrem „Musterknaben“ gar keinen Kriegseintritt verlangt, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kürzlich enthüllte. Von einem moralischen Impuls erfüllt, endlich einmal für eine gute Sache mit Waffen kämpfen zu können, drängte sich die rot/grüne Bundesregierung den „Bush-Kriegern“ geradezu auf. Schon zuvor hatte die Schröder/Fischer-Regierung durch den Nato-Einsatz im Kosovo-Krieg das Land wieder kriegsfähig gemacht, was einer konservativen Regierung wohl nicht so geräuschlos gelungen wäre. Wie der Kosovo-Krieg moralisch überhöht worden ist, so auch der Eintritt in den Afghanistan-Feldzug. Es ging um nichts Geringeres als um „Deutschlands Freiheit“. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck sagte in einer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.“ Die Medien machten daraus einen politischen Running Gag: „Deutschlands Freiheit wird am Hindukusch verteidigt.“

Schon die politischen Begründungen des Afghanistaneinsatzes waren nicht interessengeleitet, sondern eher philanthropisch-karitativer Natur. Nicht um deutsche Interessen ging es, sondern es sollten die Frauen vom Schleier befreit, den Mädchen und Jungen die Möglichkeit zum Schulbesuch geschaffen sowie andere Infrastrukturmaßnahmen durch Soldaten gebaut werden. Alle diese zivilgesellschaftlichen Maßnahmen hätten besser durch GTZ-Mitarbeiter, Pädagogen, Sozialarbeiter und politische und karitative Bildungseinrichtungen geschaffen werden können, aber nicht durch die Bundeswehr, weil diese dafür nicht geeignet ist. Ihr primärer Auftrag ist bis heute laut Grundgesetz die Landesverteidigung. Unsere östlichste Grenze verläuft aber nicht durch den Hindukusch. Folglich ist der Einsatz der Bundeswehr wider das Grundgesetz. Dieser Unaufrichtigkeit der politischen Elite ist es u. a. auch geschuldet, dass man sich über acht lange Jahre hinweg weigerte, beim Afghanistaneinsatz von einem Kriegseinsatz zu reden. Nach neudeutscher Lesart war es ein „friedensschaffender“ Einsatz mit Waffen! Da es mit dem „friedensschaffenden Einsatz“ nicht weit her ist, ist ein sofortiger Abzug aus Afghanistan das Gebot der Stunde. Bündnissolidarität erschöpft sich nicht darin, zusammen unterzugehen.

Der ehemalige Stabsunteroffizier Achim Wohlgethan hat als erster deutscher Soldat zwei Bücher über seine Einsätze in Afghanistan geschrieben. In seinem jüngsten „Schwarzbuch Bundeswehr. Überfordert, demoralisiert und im Stich gelassen“ zeichnet der Autor ein wenig schmeichelhaftes Bild der Bundeswehr. Es scheint als „verteidige“ eine völlig überforderte Truppe „Deutschlands Freiheit“ am Hindukusch. Von einer kontroversen Debatte über diese Missstände ist im Deutschen Bundestag nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, wie weiland beim letzten Drama, als über den Euro-Rettungsschirm abgestimmt worden ist. Wenn bei Schicksalsfragen des Landes keine kontroverse Debatte im Parlament mehr möglich ist, sind wir in der Tat weit gekommen.