Sonntag, 25. März 2012

Evelyn Hecht-Galinski, „Das Elfte Gebot: Israel darf Alles“

„Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.“ Dieses Motto des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland (ZdJ), Heinz Galinski, hat sich auch seine Tochter, Evelyn, zu Eigen gemacht. Stimmgewaltig und mit Verve tritt sie seit einigen Jahren als Kritikerin israelischer Regierungspolitik und dessen „Sprachrohr“ in Deutschland, des Zentralrates, öffentlich in Erscheinung. Nachdem sie anfänglich noch Gehör in den öffentlichen Medien gefunden hat, ist es den Vertretern der „Israel-Lobby“ gelungen, sie durch Verleumdungen und Diffamierungen medial zu marginalisieren.

Die vorliegende Buchveröffentlichung kompiliert Artikel von Evelyn Hecht-Galinski, ohne die sonst bei ihr üblichen schrillen, fanfarenartigen Zwischentöne zu reproduzieren. Die kurzen Kommentare und Redebeiträge zu aktuellen politischen Ereignissen in Israel, Palästina und der Bundesrepublik Deutschland erstrecken sich über einen Zeitraum von drei Jahren. Die meisten sind in der online-Zeitung. „Neue Rheinische Zeitung“, erschienen. Eingerahmt werden die Beiträge von einem Vorwort des israelischen Historikers und Politikwissenschaftlers Ilan Pappé, der aufgrund intensiven Mobbings durch Kollegen an der Universität Haifa ins Exil nach Großbritannien gehen musste, um wieder frei lehren zu können, sowie von einem Nachwort von Gilad Atzmon, des umstrittenen israelisch-britischen Saxophonisten.

Die Autorin bedient sich einer sehr direkten Sprache, die konträr zur politisch-korrekten deutschen Neusprech-Tradition steht. Dass dazu eine gehörige Portion Mut gehört, betont auch Pappé in seinem Vorwort. „Es ist ihrem Mut und ihrer Wahrhaftigkeit zu verdanken, dass solche Organisationen (ZdJ L. W.) in diesem Buch als das bloßgestellt werden, was sie sind, nämlich das `Sprachrohr` der verschiedenen israelischen Regierungen.“ Die „Israel-Lobby“ hatte ihrer Kritik nur Verleumdungen entgegenzusetzen, wie Pappé betont. Dass diese Strategie kläglich gescheitert sei, davon zeuge dieses Buch. Pappé weist auf das deutsche Dilemma in Bezug auf Israelkritik hin; er betont aber auch Israels Instrumentalisierung desselben. „Die deutsche Schuld und der Wunsch, sie wiedergutzumachen, wurde von den israelischen Regierungen missbraucht, und zur Rechtfertigung der Enteignung und Kolonisierung und ethnischen Säuberung der Palästinenser instrumentalisiert.“ Pappé zeigt sich enttäuscht darüber, dass dies von der organisierten Judenheit in Deutschland nicht erkannt worden sei, und dies Individuen wie Frau Hecht-Galinski leisten mussten.

In den einzelnen Beiträgen kann der politisch Interessierte die Angriffe der Autorin gegen den Zentralrat, ihren „Lieblingsfeind“, Henryk M. Broder, gegen die Unterwürfigkeit deutscher Politiker gegenüber Israel, gegen die Politik des doppelten Standards u. v. a. m. nachlesen. Abgerundet wird die Artikelsammlung von dem auch in der Kritik der Palästinasolidarität stehenden Gilad Atzmon, der die Autorin als „stolze selbsthassende Jüdin“, ganz in der Tradition „selbsthassender Juden“ wie Jesus, Spinoza und Marx stehend, bezeichnet. Beide wenden sich gegen das zionistische Stammesdenken, das jedem jüdischen Humanismus Hohn spreche.

Sicherlich ist es auch dem Lektorat des Palmyra Verlages zu verdanken, aus einem publizistischen Desparatum ein ansprechendes Buch zu machen. Dies drückt sich selbst noch in den einseitigen „Literaturempfehlungen“ der Autorin aus. Sprechen die überaus selektiven Buch-Hinweise eher für einen unverständlichen Tunnelblick, so weisen die ergänzenden Literaturempfehlungen des Verlages doch daraufhin hin, dass das Nahost-Rad und die Kritik an Israels Besatzungspolitik nicht neu von Evelyn Hecht-Galinski erfunden werden muss.

Weder gibt es ein „Elftes Gebot“, das Israel „Narrenfreiheit“ zubilligt, noch trifft ein Witz zu, der in den USA kursiert, nach dem AIPAC, eine der einflussreichsten pro-israelischen Interessenvertretungen feststellen könnte, dass die Zehn Gebote „antisemitisch“ seien, und die Mitglieder des US-Kongresses zu 95 Prozent einer Gesetzesvorlage zustimmen würden, diese deshalb verbieten zu lassen.

Der Wert des Buches besteht darin, dass es in komprimierter Form die vielfach geäußerte Kritik an der israelischen Regierungspolitik gegenüber den wirklichen Besitzern des Landes, den Palästinensern, und die doppelten Standards der deutschen politischen Elite in der Rechtfertigung einer jede „westlichen Werte“ verletzenden Politik allen Leserinnen und Lesern vor Augen führt. Mit diesem Buch scheint nun die Autorin in die Walhalla der jüdischen "Israel-Kritiker" aufgestiegen zu sein. Aber wie steht es mit dem Eintreten für ein uneingeschränktes Recht auf Rückkehr der Palästinenser in ihre Heimat? Auf Jerusalem als die Hauptstadt eines Staates? Auf die völlige Rückgabe des geraubten Landes? Auch nach diesem Buch bleiben Fragen über Fragen. Viele leider unbeantwortet.