Samstag, 14. Juli 2012

"US-amerikanische Normalität: 'Israel-Lobby'”

Als „America’s last taboo“ hatte einmal Edward Said den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der „Israel Lobby“ auf das öffentliche Leben der Vereinigten Staaten von Amerika bezeichnet. Dieses Tabu ist spätestens seit der Veröffentlichung des Artikels von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt „The Israel Lobby“ in der Zeitschrift „London Review of Books“ vom 23. März 2006 entzaubert. Aufgrund der aufkommenden Kritik veröffentlichten die beiden Autoren ein Jahr später unter dem gleichnamigen Titel eine umfangreiche Studie über den Einfluss der „Israel Lobby“ auf den außenpolitischen Entscheidungsprozess der USA; dies führte u. a. zu dem absurden Vorwurf des „Antisemitismus“. 

Junikrieg 1967: Für US-Politik ein Wendepunkt 

Israels Sieg im Juni-Krieg von 1967 löste nicht nur in den USA, sondern in der restlichen westlichen Welt eine Welle der Sympathie mit dem Lande aus. Der damals vermeintliche „David“ besiegte einen „Goliath“, der eigentlich ein Papiertiger war. Dass es sich bei dieser Story um einen Mythos handelt, will im Westen niemand wahrhaben. Israels Existenz stand damals nicht auf dem Spiel, wenn man israelischen Militärs und Politikern Glauben schenkt. Es stand auch kein unmittelbarer arabischer Angriff bevor, sondern die israelische militärisch und politische Klasse entschloss sich, Ägypten anzugreifen: „Im Juni 1967 hatten wir wieder eine Gelegenheit. Die Truppenkonzentrationen der ägyptischen Armee im Sinai waren kein Beweis dafür, dass Nasser bereit war, uns anzugreifen. Wir müssen uns gegenüber ehrlich sein. Wir beschlossen, ihn anzugreifen“, so Menachem Begin am 21. August 1982 in der „New York Times“. Und Luftwaffengeneral Mordechai Hod: „Sechzehn Jahre Planung gingen in diese entscheidenden achtzig Minuten ein. Wir lebten mit dem Plan, wir überschliefen den Plan, wir verzehrten den Plan. Ständig haben wir ihn perfektioniert.“ Die Präventivkriegsthese ließe sich noch durch weitere Aussagen israelischer Verantwortlicher untermauern. Seither nahm die Bedeutung Israels für die US-amerikanische Innen-und Außenpolitik einen immer größeren Stellenwert ein. Im Juni-Krieg ist es zu einem einzigartigen Zwischenfall gekommen, über den bis heute ein Schleier des Schweigens liegt, und zwar der Angriff der israelischen Luftwaffe auf das US-amerikanische Aufklärungsschiff USS Liberty, das im Mittelmeer in Sachen Aufklärung unterwegs war. 34 US-Seeleute kamen ums Leben, über 140 wurden zum Teil schwer verletzt. US-Präsident Lyndon B. Johnson untersagte die Untersuchung dieses Angriffs. Dabei ist es bis heute geblieben, und den überlebenden Seeleuten ist es immer noch untersagt, öffentlich darüber zu sprechen.

 „Israel-Lobby“ normal im Land der „Think Tanks“

Um den Einfluss der „Israel-Lobby“ ranken sich unzählige Gerüchte und Verschwörungstheorien. Ihr politischer Einfluss ist nicht zu unterschätzen, was die amerikanische Nah- und Mittelostpolitik betrifft. Aber man sollte wissen, dass es kein anderes Land gibt, in dem der Einfluss der politischen Interessenvertreter und so genannten „Think Tanks“ so überproportional groß ist wie in Washington. Man könnte sogar die These wagen, dass innerhalb des Washingtoner „beltway“ die diversen Lobbygruppen und „Think-Tanks“ das Sagen haben. Washingtons Politik wird von Lobbyisten gemacht. Ihr Einfluss hängt von deren Organisations- und Effizienzgrad ab. Und in diesem Punkt kann sich die „Israel-Lobby“ durchaus mit der Waffen-, Öl- oder der internationalen Finanz-Lobby messen. In punkto Israel sollte aber der enorme Einfluss der christlichen Fundamentalisten und der neokonservativen „Missionare“ nicht vergessen werden. Die einflussreichste pro-Israel-Lobby stellt jedoch der US-Kongress dar, da dieser es ist, der die milliardenschweren Finanztransfers und Rüstungsdeals auf Kosten des US-Steuerzahlers durch Gesetze legitimieren muss. 

Der Einfluss der „Israel-Lobby“ wird immer wieder an AIPAC, dem „American Israel Public Affairs Committee“ festgemacht. Dabei wird übersehen, dass sich die „Israel-Lobby“ aus unzähligen Organisationen und „Public Action Committees“ zusammensetzt. Neben diesen eher konservativen Pro-Likud ausgerichteten Organisationen hat sich eine eher liberal-zionistische Lobby-Gruppe um „J-Street“ im Jahr 2008 gebildet, die eher auf diplomatische Lösungen in Bezug auf den Nahostkonflikt setzt. Daneben gibt es zahlreiche Zeitschriften und „Think-Tanks“, die einseitig pro-Israel orientiert sind. Diese Fülle zivilgesellschaftlicher Organisationen bietet vielfältige Einflussmöglichkeiten und bedingt eine hohe Rotation zwischen den Eliten und erleichtert darüber hinaus den Karrierewechsel. 

Die US-amerikanisch-israelischem Beziehungen finden heute auf Augenhöhe statt. Längst gehören die Zeiten der Vergangenheit an, als US-Präsident Dwight D. Eisenhower dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion befehlen konnte, sich 1956 umgehend aus dem gerade eroberten Sinai zurückzuziehen. Israel hatte zusammen mit den Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien Ägypten angegriffen, um die Verstaatlichung des Suezkanals rückgängig zu machen. Heute wäre eine solche Haltung in Bezug auf die seit 45 Jahren besetzen palästinensischen Gebiete undenkbar. 

Seit dem Junikrieg von 1967 hat sich die Machtbalance zwischen beiden Ländern zugunsten Israels verschoben. Israel ist heute weit mehr als der „unsinkbare Flugzeugträger der USA“ im Nahen Osten. Das Land betreibt eine eigene Hegemonialpolitik, die sich auf die gesamte Region bis nach Marokko erstreckt, wie es Israel Shahak in seinem Buch „Open Secrets“ formuliert hat. Schon die Regierung von George W. Bush stand unter starkem Einfluss Israels und seiner Hilfstruppen in den USA. Noch offensichtlicher wird dieser Einfluss in der Obama-Administration. Eins ums andere Mal hat Ministerpräsident Benjamin Netanyahu den US-Präsidenten öffentlich bloßgestellt.

So war Netanyahu nicht bereit, einen sechsmonatigen symbolischen Siedlungstopp in der Westbank um weitere drei Monate zu verlängern, obgleich Obama ihn mit noch mehr US-Dollars und zusätzlichen Rüstungslieferungen ködern wollte. Weiter hat er von Obama öffentlich verlangt, sich an die 2004 gemachten Zusagen seines Vorgängers Bush zu halten. Vize-Präsident Joe Biden wurde bei seinem Israel-Besuch im März 2010 öffentlich desavouiert, obgleich er bei seiner Ankunft in Tel-Aviv gesagt hat: „Good to be at home.“(sic!) Das politisch erbärmliche Schauspiel, das der US-Kongress an Unterwürfigkeit gegenüber Israel geboten und das die wirklichen Machtverhältnisse deutlich gemacht hat, fand im Mai 2011 statt. Natanyahu hielt vor beiden Häusern des US-Kongresses eine reaktionäre Rede. Die Abgeordneten sprangen 29 Mal wie in Trance von ihren Sitzen auf und spendeten frenetischen Beifall. Eine deutlichere Ohrfeige hätte man dem eigenen Präsidenten über Parteigrenzen hinweg nicht verpassen können. Auch in der Iranpolitik erscheint Obama als ein Getriebener von Seiten Israels, der „Israel-Lobby“ und des US-Kongresses, die maßgeblich für die Sanktionen verantwortlich zeichnen.

Wedelt der Schwanz mit dem Hund?

Oft wird der Eindruck vermittelt, in den Beziehungen zwischen den USA und Israel wedelt der Schwanz mit dem Hund. Oder ein Mitglied der „Israel-Lobby“ gibt eine Losung aus und alle anderen marschieren in Reih und Glied. So ist es aber nicht. Trotz unbestreitbarem Einfluss Israels und seiner Hilfstruppen in den USA könnte Israel im Falle von wirklich widerstreitenden Interessen ohne die Zustimmung der USA wenig tun. Die „Israel-Lobby“ arbeitet nicht im geheimen. Die Lobby ist sogar auf ihren großen Einfluss stolz, der sich einmal im Jahr darin manifestiert, wenn AIPAC zu ihrer Konferenz in Washington einlädt. Vom Präsidenten abwärts pilgert fast die gesamte politische Klasse der USA zu diesem Event und gibt Treueschüre für Israel ab. Es gibt also keinen Grund für Verschwörungstheorien.

In jüngster Zeit haben so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Norman G. Finkelstein und Peter Beinart Kritik an der Unterstützung der „Israel-Lobby“ wegen derer erzkonservativer Pro-Likud-Haltung geübt. Insbesondere junge US-amerikanische Juden könnten sich immer weniger mit der Politik der rechtsnationalistischen israelischen Regierung identifizieren. Sie akzeptieren immer weniger, dass ihre jüdische Identität für eine Politik in Anspruch genommen wird, die gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstößt. Vielleicht sind die Tage der konservativen „Israel-Lobby“ in den USA gezählt.

Zuerst erschienen in: FriedensJournal, 4/2012, S. 10 f.
Bildnachweis.