Mittwoch, 31. Oktober 2012

Der „Größte Journalist aller Zeiten“ (HMB) als Quizmaster

HMB ist ein Alleskönner, auf neudeutsch ein allrounder oder ein handyman. Wenn er nicht skurrile Artikel für sein Leib-und-Magen-Blatt pinselt oder mit seinem treuherzigen Diener auf „Safari“ geht, betätigt er sich als „Quizmaster“ für seine Fangemeinde. Vielleicht hätten ihm die Medienverantwortlichen vom Lerchenberg „Wetten dass …?“ anbieten sollen; mit ihm als Conférencier hätte die Sendung ein richtiger „Ladykracher“ werden können. Aber seine augenblickliche Berufung liegt im Aufspüren „neuer-“ oder „alt-neuer“-Antisemiten - frei nach dem Motto: Wer eine andere Meinung zur Politik der israelischen Regierung oder dem Nahostkonflikt hat als HMB, ist ein „Antisemit“. Das ihm dabei ein Muslim behilflich ist, entbehrt nicht einer gewissen Komik.                                                                    

Der Erfolg des „Quiz“ war durchschlagend, was man nicht unbedingt von solchen Lesern erwartet hätte, welche diese „achgut“-Sammelsurien tagein, tagaus vor die Nase gesetzt bekommen. Der Gewinner erhielt ein Obama-Wahlplakat; dem „corpus delicti“ wurde die Reproduktion der so genannten 5 Frankfurter versprochen. Wer kann schon mit diesen etwas anfangen? Folglich sollten sie einem schnuppe sein. Besser wäre es, HMB würde eine Postkarte der vier Gerechten anfertigen und unter seinen Fans verteilen lassen; sie wäre tatsächlich ein schönes Schlafzimmer-Accessoire.

Sollte es demnächst wirklich zum Mars gehen, müssen unbedingt die von ihm vorgestellten Bücher mit ins Gepäck, damit den beiden auf ihrer „Mars-Safari“ nicht der „geistige“ Proviant ausgeht. Soeben hat die Mars-Sonde „Curiosity“ so etwas Ähnliches wie Hawaii-Sand (!) auf dem „roten Planeten“ entdeckt. Was heißt das für „Herr und Knecht“: Packt die Badehose ein und nichts wie auf zum Mars! Was macht die Welt aber dann, wenn sie als überzeugte Antizionisten zurückkehren und sich für die geknechteten Palästinenser einsetzen? Werden sie dann als „Antisemiten“ stigmatisiert? 

Um diesem Stigma zu entgehen, sollte sich HMB seiner gewichtigen Sätze aus dem Jahre 1989 erinnern, die er in der fortschrittlichen Zeitschrift „Semit“ seines „Freundes“ Abi Melzer in der Juli/August-Ausgabe zu Papier gebracht hat: „Du ahnst in der Tiefe Deiner Seele, dass wir es sind, die den Palästinensern Unrecht tun und nicht umgekehrt, und um dieses Unrecht zu rechtfertigen, musst Du darüber spekulieren, was „die“ tun würden, wenn sie könnten, wie sie wollten." Oder noch treffender: "Entweder wir oder sie", es gehe ums Überleben. Mit einer solchen Blankovollmacht auf den eigenen Namen ließe sich alles begründen und rechtfertigen. Aber am Ende wende sich diese Moral immer gegen ihren Urheber. Habe man sich erst einmal an eine chronische Notwehrsituation gewöhnt, könne man mit der Selbstverteidigung gar nicht mehr aufhören, es müssten dann ständig neue Feinde her, so HMB. Iran fällt da jedem ein, aber es wird noch besser: Nach den Arabern kämen die "jüdischen Verräter" an die Reihe, die "Nestbeschmutzer und Sympathisanten". Moral und Menschlichkeit blieben auf der Strecke, Logik und Vernunft kämen unter die Räder, schrieb zu Recht ein damals weitsichtiger Autor.

Man könnte sagen: „Gut gebrüllt Löwe!“ War HMB nicht insgeheim immer schon ein „Antizionist“? Welcome to the club!

Samstag, 27. Oktober 2012

Israel schafft sich ab

Henry Kissinger hat vor kurzem erklärt, dass es in zehn Jahren kein Israel mehr geben werde. Gershom Gorenberg, ein US-Amerikaner, der vor 35 Jahren als Student nach Israel gekommen ist und eine Familie gegründet hat, weist auf über 300 Seiten auf die Gefahren einer Selbstzerstörung Israels durch eine „unheilige Allianz“ zwischen politischer Führung und extremistischer Siedlerbewegung hin. Von Außeneinwirkung via Iran ist dabei aber nicht die Rede. Yakov M. Rabkin hat bereits in seinem bahnbrechenden Buch „A Threat from within. Jewish Opposition to Zionism“ auf die Gefahren hingewiesen, die dem Zionismus vom Judentum drohen.

Gorenbergs Thesen mögen auf den ersten Blick „alarmistisch“ klingen, wenn er konstatiert, dass sich „Israel in einer fortdauernden Zersetzung befindet“ und es zu einer „Neugründung“ kommen sollte. Paradoxerweise begann die „Zersetzung“ Israel auf dem Höhepunkt seines Triumphes über seine „Feinde“ im Sechstagekrieg von 1967. Dass dies ein Pyrrhussieg war, haben bereits zahllose Autoren, die sich einen ungetrübten Blick auf Israel bewahrt haben, immer wieder betont. Daraus folgert seine zentrale These: Die Entscheidungen der verschiedenen israelischen Regierung seit Juni 1967, die eroberten Gebiert zu kolonisieren, haben wesentlich zu einem schleichenden Prozess der „Selbstabschaffung“ Israels beigetragen. Übrigens: Das koloniale Siedlungsprojekt wurde von der „linken“ Arbeitspartei initiiert.

Trotz seiner Kritik an der Politik Israels bezeichnet sich der Autor als Zionist, was bedeutet, er ist jüdischer Nationalist. Gleichwohl spricht er ungezwungen von al-Nakba, der Katastrophe, die durch die „zionistische Landnahme“, über die Urbevölkerung Palästinas aufgrund der Kolonisierung hereingebrochen ist. Israel nennt diese „Katastrophe“ den „Unabhängigkeitskrieg“.

Gorenberg tritt für die Preisgabe aller Siedlungen und die Rückführung der israelischen Kolonisatoren ein, die sich wider das Völkerrecht im besetzen Palästina breit gemacht haben. Er ist für eine Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Waffenstillstandsvereinbarungen von 1949. Trotz seiner berechtigten Kritik an der israelischen Regierungspolitik, ist der Staat Israel auch das Ergebnis einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung, die sich erst im Lichte des virulenten Antisemitismus in West- und Osteuropa am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebildet hat. Davon völlig unabhängig ist die Frage, wie man zum jüdischen Nationalismus auch immer stehen mag. 

Der Autor weist zu Recht auf die negativen Auswirkungen der Besatzung, die Förderung des religiösen Extremismus und des Siedlerunternehmens sowie deren Untergrabung von Recht und Gesetz unter aktiver oder passiver Mithilfe der diversen israelischen Regierungen hin. Wenn Gorenberg schreibt, dass das Siedlerunternehmen ein breit angelegter Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit Israels gewesen sei, muss man sich fragen, warum die Regierungen einen solchen Angriff zugelassen haben. War ihnen die Rechtsstaatlichkeit vielleicht nichts wert? 

Der Autor lässt keines der relevanten Probleme aus. So weist er auf die zunehmend politische Bedeutung der Charedim (ultraorthodoxe Juden) hin, die heute zirka zehn Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen, wovon ein Teil den Staat Israel ablehnt, wohingegen ein anderer sich aktiv am politischen Leben Israels beteiligt. Ebenso geht er auf die Rolle der israelischen Palästinenser sein, die ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung Israels stellen. Sie werden durch mehr als 30 Gesetze diskriminiert, obgleich sie Staatsbürger des Landes sind. Die wirklich existentielle Gefahr für das „jüdische und demokratische“ Israel erwächst jedoch durch die religiös-fundamentalistische Siedlerbewegung, deren Anhänger das Militär peu à peu unterwandern. 

Das Buch ist von einem orthodoxen zionistischen Juden geschrieben worden. Es wäre noch kritischer ausfallen, wenn es von einem anti-zionistischen orthodoxen Juden geschrieben worden wäre. Gleichwohl ist es spannend und sehr lesenswert. Israel ein "gescheiterter Staat"?

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Miko Peled, The General’s Son

In 1997, a tragedy struck the family of Israeli-American Miko Peled. His 13-year-old niece Smadar was killed by suicide bombers in Jerusalem. Born into a prominent Zionist military family, his father was a prominent general, who turned after the Israel’s “war of aggression” in 1967, into an advocate of peace with the Palestinians, the real owners of the land of Palestine. The tragic death of his niece served as an “eye-opener”. His personal journey from a Zionist by education, family and societal socialization into an outspoken critic of Israel’s colonial and aggressive policy is convincingly documented in his extraordinary book: “The General’s Son”.

His sister, Nurit Peled-Elhanan, reacted very unusually to the tragic death of her daughter. She did not blame the suicide bombers but the occupation policy of the Israeli governments. At that time, Benyamin Netanyhu served his first term as Israel’s Prime Minister. As a mother, she did not call for revenge because Israel’s long lasting mistreatment of the Palestinian people created people like them. Miko Peled makes it also very clear that Israeli policy has to be blamed. His sister, Nurit Peled-Elhanan, is a well-known professor for language and education at the Hebrew University in Jerusalem. Her latest book “Palestine in Israeli Schoolbooks” shows how Israeli school children are indoctrinated by outright racism and Zionist ideology. This manipulation occurs at different fields like images, maps, layouts and use of language in History, Geography and Civic Studies textbook, The manipulation by education aims at the marginalization of Palestinians and reinforces Jewish-Israeli identity. 

The author himself was a victim of Zionist indoctrination that stigmatized a whole people to enemies he has had no opportunity to really know. This insanity ended when Miko Peled met for the first time Palestinians in San Diego. With these meetings began a journey from darkness to enlightenment. Step by step, he stripped himself of the taught ignorance of the so-called “other”.

Forty years later, Miko Peled followed into his father’s footsteps, General Mattiyahu (Matti) Peled. He was the first famous member of the Zionist military establishment who “violated” the esprit de corps. Courageously, he debunked the Zionist mystique about the Six-Day War of June 1967. Everybody, who is not a partisan, knows that it was a war of aggression, planned by the military establishment, the second generation, against the will of the political leadership, the immigrant generation. One should read the statements by Israeli politicians like Menachem Begin or other top brass of the military elite. But neither the US nor European academics incorporate their statements into their analysis because it would destroy the myth about the Six-Day War that Zionist Hasbara (propaganda) has created. 

The author combines the exceptional history of his family, the political development of the State of Israel and his personal conversion to a fundamental critic of the policy of the different Israeli governments. As a former soldier he knows what he is talking when it comes to the Israeli army: It is the “best trained, best equipped, best fed terrorist organization in the world”, so Miko Peled in his speech on October 1, 2012 in Seattle. “Their entire purpose is terrorism.” What will the “Israel Lobby” and its fans in the US or Western Europe says against this realistic characterization? They will yell out: “self-hating Jew”; “Ant-Semite” would not work well against a former Israeli soldier, or their other ridiculous accusations. Presumably, they will just hush up. Nevertheless, should it occur to the public that their only argument against Peled’s very convincing arguments might be character assassinations? What Peled writes cannot be confounded by the Zionists all over the world. Even the universal weapon of “anti-Semitism” would go unheard. 

Not the so-called anti-Semites or the so-called self-hating Jews have to justify their legitimate criticism of the brutality of the Israeli government policies against a defenseless people but the Zionist crowd in the US and all over the world. Peled stresses that the "Israel Lobby" and their cheerleaders have to explain why a so-called “Jewish and democratic state” colonizes against international law, human and real democratic rights a people and destroy systematically their existence by house demolitions, expulsion, torture, settler and military terrorism, uprooting trees, build Jewish-only roads, establish a different law systems, one for Jews and the others for “barbarians”, or the massacre in the Gaza Strip in 2008/09 that caused the death of more than 1 400 people, most of them women and children. How the “Israel Lobby” does explain more than 30 laws that discriminate against Israeli Palestinians who live in Israel proper and are citizens of the State of Israel? More and more Jews with conscience in the US turn their back on Israel. They are fed up that Judaism is taken hostage by Zionist ideology. Norman Finkelstein’s book “Knowing too much” and Peter Beinart’s book “The Crisis of Zionism” are evidence for this theory. 

Either the whites in South Africa or the whites in the south of the US did not like equal rights for “blacks”. Both racist regimes were not dissolved “by consensus”, writes Peled and he continues saying: “But Zionism like racism has to go. The Zionist state has to be replaced by a democracy.” Equal rights for both peoples are long overdue. A fascinating book.

First published herehere and here.

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Israel setzte Gaza-Palästinenser auf Diät

Aufgrund eines Gerichtsurteils musste das israelische Verteidigungsministerium ein Dokument an „Gisha – Legal Center for Freedom of Movement“ herausgeben, aus dem ersichtlich ist, dass die israelische Regierung während der Blockades des Gaza-Streifen zwischen von 2007 bis 2010 die Kalorienaufnahme der Bewohner so kalkuliert hat, dass eine Mangelernährung gerade verhindert worden ist. Dagegen behauptet „Gisha“, dass die israelische Besatzungsmacht den Kalorienbedarf für die Bewohner so berechnet habe, um die Menge von Gütern des täglichen Bedarfs in den Strip zu beschränken. Israels Militärsprecher, Major Guy Inbar, erklärte am 17. Oktober 2012, dass eine mathematische Formel entwickelt worden sei, um die täglichen Nahrungsaufnahme zu ermitteln, damit es zu keiner humanitären Krise käme. 

Nachdem Hamas den Putsch des Warlords Mahmoud Dahlan im Gaza-Streifen, der in Abstimmung mit Israel und den USA sowie mit Billigung durch Präsident Abbas initiiert worden ist, erfolgreich niedergeschlagen hatte, mussten Dahlans Söldner den Strip verlassen. Es handelte sich also um einen Putsch der Fatah gegen Hamas und nicht, wie gemeinhin behauptet wird, um einen „Hamas-Putsch“. Erst nach der Niederlage seines Schützlings erklärte Israel in 2007 den Gaza-Streifen zum „feindlichen Gebiet“ und beschloss eine Art Kollektiv-Diät als Kollektivstrafe. Als Existenzminimum wurde der Richtwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2 279 Kalorien zu Grunde gelegt. „Gisha“ bezeichnet die Maßnahmen als „Wirtschaftskrieg“ seitens Israels, um Hamas zu schwächen.

In der Zwischenzeit hat Hamas die Blockade durch ein Tunnelsystem unterlaufen, durch das Güter des täglichen Bedarfs, Waffen und andere Schmuggelware transportiert werden. Nachdem Israel im Mai 2010 ein türkisches Schiff mit Hilfsgütern und mit internationalen Aktivisten an Bord in internationalen Gewässern geentert hatte und neun türkische Staatsbürger zum Teil regelrecht hingerichtet hatte, musste die israelische Regierung aufgrund internationaler Proteste die Blockade des Gaza-Streifens etwas lockern. Seither können Konsumgüter wieder in den Gaza-Streifen eingeführt werden. Baumaterialen sowie Röhren dürfen nicht importiert werden, da sie in Heimarbeit für den Bau von Kassam-Raketen verwendet werden könnten. Eine Seeblockade ist immer noch in Kraft, um einen möglichen Waffenimport zu verhindern.

„Gisha“ fordert von der israelischen Regierung, alle Reisebeschränkungen aufzuheben, die nicht der Sicherheit dienen, damit die Zivilbevölkerung ein normales Leben führen könne. Warum schließt sich der Westen nicht dieser Forderung an?

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Dienstag, 16. Oktober 2012

Euroland wird abgebrannt

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union (EU) durch das norwegische Nobelkomitee kann auch als Abgesang auf die größte „Friedensbewegung“ aller Zeiten samt seiner Polit-Währung, den Euro, interpretiert werden, frei nach dem Motto: Retten, was noch zu retten ist, bevor das Luftschloss in sich zusammenbricht. Diese Entscheidung zeigt, wie weit das Nobel-Komitee von der Realität entfernt ist. 

Von den wenigen Realisten in einem journalistischen Heer von Euro-Enthusiasten überragt der Finanzjournalist Lucas Zeise als einer von wenigen „Einäugigen“ die große Masse der „blinden“ politischen Claqueure um Längen. Der Autor gibt dem Euro keine Überlebenschance. Der gerade etablierte „Europäische ‚Schuldenmechanismus‘“ (ESM) dient dazu, Zeit zu kaufen, bis die EU-Bevölkerungen psychologisch „vorbereitet“ sind, einen Währungsschnitt murrend, aber nicht protestierend hinzunehmen.

In dem Kapitel „Die verfehlte Konstruktion des Euro“ weist Zeise darauf hin, dass die Europäische Union auch ohne Euro überleben kann, und dies sogar besser als die Länder, die sich den Euro zugelegt haben. Wenn dieses Politikum „alternativlos“ sein soll, warum gehören dann Polen, Tschechien, Dänemark, Großbritannien und die anderen sechs EU-Mitglieder diesem Währungsclub nicht an? Sie alle werden mit der Wirtschafts- und Währungskrise besser fertig, weil sie die Souveränität über ihre Währung behalten haben und währungspolitische Maßnahmen wie z. B. das Auf- oder Abwerten ihrer Währungen eigenständig regeln können. Dies können die 17 Euro-Staaten nicht, weil dort die stärkeren Länder immer noch stärker und die schwächeren immer noch schwächer werden (63), und sie haben die Handlungsfähigkeit über die eigene Währung einer politischen „Schnapsidee“ geopfert. 

Zeise weist auch auf die gravierenden Konstruktionsfehler des Euro hin: So wurden Länder mit unterschiedlichster Wirtschaftskraft in einem Währungsverbund auf Gedeih und Verderb zusammengekettet. Der Euro sei ein Projekt des Großkapitals gewesen, dass auf die ökonomischen und sozialen Belange der Bürger keinerlei Rücksicht genommen habe. Die Politik sei sich dem Diktat durch die Finanzmärkte bewusst gewesen und habe sich diesem freiwillig ausgeliefert. Ebenso habe es einen Wettbewerb der Staaten um die Gunst der Finanzmärkte gegeben. Zu Recht spreche man vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ (56); diese von den Menschen weitgehend akzeptierter These von der Vorherrschaft des Finanzkapitals sollten auch Marxisten anerkennen und ihr nicht widersprechen, so der Autor. 

Ein weiterer Konstruktionsfehler liege in der ungehemmten Macht der Rating-Agenturen, die am schwächsten Glied in der Euro-Kette, Griechenland, ein Exempel statuieren wollten. Zeise hat bereits 2009 in einem Zeitungsbeitrag für die Tageszeitung „junge Welt“ darauf hingewiesen, wie sich die anderen Euro-Staaten verhalten würden, um Griechenland mit allen Mitteln „zu retten“. Indem man den IWF als „Retter“ mit ins Boot holte, hätte jeden klar sein müssen, dass die „Griechen am Ende bluten sollen“. (86)

Der Autor vertritt zu Recht die Meinung, dass weder die Euro-Zone durch das „Spardiktat der deutschen Regierung“ noch durch die „Regierungsübernahme“ durch die Europäische Zentralbank „gerettet“ werden könne. Oder anders formuliert: „Veränderungen, die notwendig wären, um die Währungsunion weiter zu entwickeln, um sie zu erhalten, widersprechen so grundlegend den Interessen derer, die sie aus der Taufe gehoben haben, dass es dazu nicht kommen wird.“ Damit es dazu käme, müsste das Finanzkapital entmachtet und seine Vermögensansprüche entwertet werden sowie die EU-Staaten sich durch die Einführung eines einheitlichen Steuersystems dem Zwang der Verschuldung und damit der Macht des Finanzkapitels entziehen. (135) Illusionslos stellt Zeise fest, dass es dazu nicht kommen werde, weil ein Ausweg aus der Krise der „Interessenlage des herrschenden Kapitals“ zuwiderlaufe sowie die Gegenkräfte „schwach und politisch uneins“ seien. 

Als Finanzjournalist hätte Lucas Zeise der Frage nachgehen sollen, warum Deutschland nicht aus der Euro-Zone austritt. Dass Deutschland zu den Profiteuren des Euro gehöre, glauben nur diejenigen, die davon wirklich profitieren: das Finanzkapital und die Großkonzerne. Der Bürger musste seit der Einführung dieser Polit-Währung erhebliche Einkommens- und Vermögensverlust hinnehmen. 

Die Analyse ragt weit über das hinaus, was von der journalistischen Zunft sonst so zu Papier gebracht wird. Ein sachkundiges Buch, verständlich geschrieben und überaus lesenswert. Möge es viele Leser/innen finden.

Sonntag, 14. Oktober 2012

Kenneth M. Lewan – in memoriam

Kenneth M. Lewan was born in 1925 in Chicago and deceased on October 7th, 2012, in Germany. He received his education at Harvard University; followed by a PhD from the University of Munich. He worked as a lawyer and legal advisor for different US Departments and the US Congress. As a professor, he taught at universities in New York, Indiana and – until his retirement – in Hagen.

For US American standards, he was an outstanding scholar: All his life, he supported the cause of the Palestinian people. For him, all the evil brought upon them was caused by Zionism and its phony intentions. Before the establishment of the State of Israel and from its inception on May 14th, 1948, the Palestinian Arabs were hoodwinked by Zionist ideology. The last act of Palestinian self-deception about Zionist intentions happened, when Yasser Arafat became the “President” of the Palestinian National Authority in 1994. Although the Israeli political class never ever promised Arafat and his cronies a “Palestinian State”, which is worthy of the name; instead, the Palestinian leaders persuaded themselves of this pipe dream. However, left wing Zionists stated blatantly: If the Palestinians want to call this entity a state, it’s up to them. Lewan has always warned the Palestinians not to trust the Zionist Israeli leadership and their “progressive left-wing Zionist” cheerleaders. 

For political scientists like Lewan or, for example, Norman Finkelstein it is impossible to get their work published in main stream journals, not to speak of the press. That is why, his last article on “Zionist Ideology and Propaganda: In Israel, America, and Germany” was published on the progressive website “dissent voice” on May 15, 2008. The numerous comments show that the author addressed a taboo topic. 

In Germany, Lewan’s books were ignored by the media. His main focus was the conflict between the struggle of the Palestinian people for freedom and self-determination and Israel’s aggression, oppression and colonialism in the Middle East and its reception by the German press. He published books on the Six-Day War of June 1967 reported by West German media, and about the “two camps” within the German daily “Frankfurter Allgemeine Zeitung” concerning reporting on the Israeli-Palestinian conflict. As early as 1993, he published a book with the title: “Is Israel South Africa?” (Ist Israel Südafrika?), which was also publically ignored. 

A topic, which he touched upon every now and then, was the servile attitude of the German political class towards Israel’s brutal colonial policy in Palestine. In this respect, one of his favorites was the former German foreign minister Joschka Fischer, member of the Green Party, and the “Grande Dame” of the Free Democratic Party, Hildegard Hambruecher. He devoted them a play called: The Foreign Minister (Der Aussenminister). This play has not found a courageous director who would direct it as a drama on stage. He also published a collection of narratives called “Jacob’s report” (Jakobs Bericht) in which he pulled the mask off the face of the political establishment in Germany. 

Kenneth Lewan’s straightforward and independent view will be missed in the future. Maybe others have the courage and follow in his footsteps.

First published here.
A slightly different version in German here.

Freitag, 12. Oktober 2012

Friedensnobelpreis für EU!

Es hat schon etwas Bizarres oder von Realsatire, dass das norwegische Nobel-Komitee der Europäischen Union den Friedensnobelpreis zuspricht, obgleich Norwegen selbst diesem größten Friedensklub aller Zeiten gar nicht angehört. Das eigene Land ein „Friedensfeind“? Nachdem US-Präsident Barack Hussein Obama mit diesem Preis kurz nach seiner Wahl ausgezeichnet worden ist, legte dieser mit der Ausweitung des Drohnen-Krieges erst richtig los und leistet sich sogar eine „Killer-Liste“, über die er persönlich präsidiert. Ohne Gerichtsverfahren oder der Feststellung von Schuld entscheidet er über Leben und Tod! 

Jetzt hat man der größten „Friedensbewegung“ der Welt diesen Preis verliehen, wohl wissend, dass einige ihrer Mitgliedstaaten in neokolonialistische Kriege verstrickt sind. Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien u. a. dienen als Beispiele für die „Friedensfähigkeit“ einiger EU-Staaten. Die Mitgliedschaft in diesem Friedensclub ist heiß begehrt, solange die Finanzströme nicht versiegen. Die EU selbst hält einem klassischen Demokratietest nicht stand. Ob das Nobel-Komitee wirklich immer ein glückliches Händchen bei der Auswahl seiner Preisträger hat, darf zu Recht mit mehreren Fragezeichen versehen werden. Die EU mit samt ihrem Euro stehen kurz vor dem Kollaps, den die Verleihung des Friedensnobelpreises wahrscheinlich auch nicht mehr aufhalten kann. 

Der Preis hat bei der Eurokraten-Klasse helles Entzücken hervorgerufen. Man schlägt sich gegenseitig auf die Schulter und merkt gar nicht, wie die Bürger sich indignieren von diesem Staatenkonglomerat mit Allmachtfantasien abwenden. Dass die neoliberale, kapitalistische und antisoziale EU nicht das Interesse ihrer Bürger vertritt, machen die Finanzauflagen der Troika gegenüber Griechenland deutlich, in deren Folge die Massenproteste zu sehen sind.

Wer soll den Preis, der mit knapp einer Million Euro dotiert ist, entgegennehmen? Diese Debatte dürfte den Ministerrat der EU in den nächsten Wochen auf Trapp halten. Der Preis steht zuerst allen EU-Bürgern zu, die durch 27 Regierungschefs repräsentiert werden. Träten dort nur die Regierungschefs auf, bekäme die ansonsten steife Zeremonie den Hauch eines Happenings; käme jedoch nur ein winziger Teil der Bürger, könnte dies Dimensionen á la Woodstock annehmen. Das Preisgeld könnte zur Stabilisierung des ESM verwendet werden.

Würde dieses Nobel-Komitee für die Interessen der Unterdrückten und Verfolgten eintreten, hätte es den Preis an den US-Amerikaner Sergeant Bradley Manning und den Australier Julien Assange, Mitgründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, verliehen, die beide vom US-Imperium mit fadenscheinigen Prozessen überzogen werden sollen. Beiden drohen vor „cangaroo courts“ entweder lebenslange Haft oder wie im Falle von Assange möglicherweise auch die Todesstrafe. Beide haben nichts anderes getan, als auf die kolossalen Verbrechen des US-Imperiums im Irak hinzuweisen. Der Preis an sie wäre ein Zeichen für die Anerkennung der Würde des Einzelnen und ein Zeichen gegen staatliche Willkür und Allmacht gewesen.

Ob mit der Preisverleihung die Idee von Europa gerettet werden kann, oder ob das bürokratische Monster die letzten Reste persönlicher Freiheit vergesellschaften wird, muss die Zukunft zeigen. Die Bürger sollten sich gegen ihre weitere Kollektivierung und Entmündigung empören.

Dienstag, 9. Oktober 2012

In memoriam Kenneth M. Lewan

Es gibt nur wenige Wissenschaftler, die sich über einen so langen Zeitraum mit dem Palästina-Konflikt und seinen Verästelungen auseinandergesetzt haben wie Kenneth M. Lewan. Seit dem 7. Oktober 2012 ist seine Stimme für immer verstummt. Sein Fokus waren nicht nur die Ungerechtigkeiten, welche die zionistische Bewegung über das palästinensische Volk gebracht haben, sondern er setzte sich bis zuletzt sehr kritisch mit der deutschen Rolle im Nahostkonflikt auseinander. Dabei legte er den Finger sowohl in die Wunde der deutschen politischen Klasse als auch der bundesrepublikanischen Medienberichterstattung über diesen Konflikt. Beide konnten seinem kritischen Urteil nicht standhalten, wenn es um die Politik der diversen israelischen Regierungen gegenüber den Palästinensern ging. 

Lewan war US-Amerikaner; geboren 1925 in Chicago. Seine Ausbildung erhielt er an der Ivy-League-Universität in Harvard; die Promotion folgte an der LMU in München. Er arbeite als Rechtsanwalt und juristischer Berater für US-Ministerien und den amerikanischen Kongress in Washington, D. C. Als Professor lehrte er an Universitäten in New York City, Indiana und - bis zu seiner Emeritierung - in Hagen.

Seine akademischen Werke beschäftigen sich mit dem Nahostkonflikt in den westdeutschen Medien, insbesondere auch in der FAZ, der deutschen „neuen Schuld“, dem Sechstagekrieg und zwanzig vergeudeten Jahre sowie der Frage, ob Israel Südafrika sei. Neben seinem akademischen Schaffen hat Kenneth M. Lewan auch ein Buch mit Erzählungen - Jakobs Bericht - und ein Theaterstück - dies zusammen mit seiner Frau Hannelore - hinterlassen: „Der Außenminister“. Dieses Schauspiel wartet immer noch auf einen mutigen Regisseur, der es wagt, es als Drama auf eine deutsche Bühne zu bringen. Es geht dabei um Joschka Fischers Leistungen in Sachen deutsche Israelloyalität. 

In dem Buch „Sühne oder neue Schuld? Deutsche Nahostpolitik im Kielwasser der USA“ geht der Autor bereits im Jahr 1984 weit über das hinaus, was heute niemand mehr wagt, öffentlich zur Sprache zu bringen. Er zeigt darin auf, wie die bundesrepublikanische Unterstützung auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen als Juniorpartner der USA den palästinensischen Opfern großen Schaden zufügt. Sein Resümee. „Von Westdeutschland aus kann also viel getan werden, um die Verfolgung der Palästinenser und anderer Araber durch Israel – und seine Mittäter in den USA und der Bundesrepublik – aufzuhalten.“

Sein letztes wissenschaftliches Werk beschäftigte sich mit den zwei „Nahost-Lagern“ in der Redaktion der FAZ. Die „tageszeitung“ (taz) schrieb dazu am 21. August 2004: Es habe einen gewissen Charme, dass sich Lewan ausgerechnet die FAZ und ihre Korrespondenten und Redakteure ausgesucht habe, „um auf Widersprüche in der Berichterstattung über die grausame und blutige Intifada sowie deren Niederschlagung durch die israelische Armee aufmerksam zu machen. Zugleich wirft er dabei berechtigte Fragen zur Nahostpolitik des viel gelobten deutschen Außenministers auf, dessen Image des neutralen Vermittlers er anzweifelt.“

Lewans Publikationen wurden selten von den Mainstream-Medien zur Kenntnis genommen, weil sie sich zu pragmatisch und realitätsnah mit der Besatzungspolitik und der fortgesetzten Kolonisierungspolitik Israels und deren Widerspiegelung in der deutschen Presse nach 1967 beschäftigt haben. So wurde sein Buch „Ist Israel Südafrika?“ völlig ignoriert. Eine viel zu späte Würdigung erfolgte durch eine Besprechung von W. Frankenberg, die das „Palästina-Portal“ 2009 veröffentlichte. Dort schrieb der Rezensent u. a.: „Verbrechen werden sanktioniert (Südafrika), andererseits belohnt, wenn es um Israel geht.“ 

Ebenso war es nicht möglich, seinen kritischen Artikel über die „Zionistische Ideologie und Propaganda in Israel, Amerika und Deutschland“ weder in einer deutschen noch US-amerikanischen wissenschaftlichen Zeitschrift unterzubringen. Die Vielzahl der Reaktionen zu dem Artikel machen jedoch deutlich, wie überfällig eine öffentliche Debatte eigentlich wäre.

Kenneth Lewans gradlinige und unabhängige Meinung wird in Zukunft fehlen. Vielleicht haben andere den Mut, in seine Fußstapfen zu treten.

In Englisch erschienen hier und hier.

Montag, 8. Oktober 2012

Wo gibt es noch „Antisemitismus“?

Auf einer „Deutschland-Safari“
wurde unter anderem nach dem „neuen Antisemitismus“ und seinen "Vertretern" gefahndet. Diese „Spezies“ hatte es tatsächlich gewagt, Israels Politik gegenüber den Palästinensern zu kritisieren. Aus einer potenziell avisierten „Gaza-Safari“ wurde scheinbar nichts. An wem es gelegen hat, ist nicht bekannt. Ob der Sender nicht wollte oder es seinem treuherzigen ägyptischen Diener unter der heißen Sonne des Gaza-Stips nicht zuzumuten war, seinen Herrn und Meister durch die Slums von Gaza-City zu kutschieren, ist nicht überliefert? 

Sind die beiden jetzt zum Polarkreis aufgebrochen, um vielleicht dort dem wirklich „neuen" Antisemitismus auf die Spur zu kommen? Man könnte ihnen zurufen: "Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah"? In Deutschland und in anderen europäischen Ländern zeigt der Antisemitismus immer wieder sein hässliches Gesicht. Sollten sie ihn in diesem frostigen Klima nicht finden, stehen dann als nächste Reiseziele Grönland, Patagonien, der Südpol, die Mongolei, die Fidschis oder die ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika oder sogar Tonga auf dem Reiseplan dieser tapferen Männer? Hat nicht die US-Mars-Sonde „Curiosity“ vor kurzem so etwas Ähnliches wie ein "Hakenkreuz", „antisemitische“ Amöben oder nur „Demonstranten“ auf dem Mars entdeckt?  Originäre Feldforschung wäre dort tatsächlich noch möglich. 

Haben sich die beiden schon die ersten Shuttle-Plätze für den Flug zum Mars in 2070 reserviert? Auf dem Mars scheint es wenigstens noch „weiße Flecken“ und eine riesige Spielweise für „Experten“ jedweder Art zu geben. Die beiden könnten sich auf dem roten Planeten bis zum Ende ihrer Tage ihrem Hobby hingeben. Leider gibt es dort noch kein Cafe Einstein oder andere Establishments. Aber für das luxuriöse Catering fänden sich bestimmt bereitwillige Sponsoren, die den Transport für die Leckerli übernehmen, damit die beiden gar nicht mehr auf die Idee kommen, auf diese “antisemitische“ Welt zurückkehren zu wollen. Bon Voyage!

Sonntag, 7. Oktober 2012

Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Streifen

Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) hat soeben ihren Bericht „Abusive System: Criminal Justice in Gaza“ veröffentlicht. Die Untersuchung zeigt, wie gravierend die regierende Hamas, ihre juristischen Handlanger und ihre Sicherheitsdienste die Menschenrechte einiger ihrer Bürger verletzen. Der Bericht untersucht das Strafrecht und dessen Missbrauch. So kommt der HRW-Bericht zu dem Ergebnis, dass es zu zahlreichen Verletzungen gekommen ist, und zwar durch „willkürliche Verhaftungen, Isolationshaft, Folter und unfaire Gerichtsverfahren“.

Nachdem Hamas im Jahr 2007 die Macht im Gaza-Streifen übernommen hat, sei es nach Angaben von HRW zu drei Exekutionen gekommen; die „Geständnisse“ der Hingerichteten seien unter Folter zustande gekommen. Familienangehörige werden entweder gar nicht oder nur verspätet über den Aufenthaltsort von Verhafteten unterrichtet. Auch Ankläger und Gerichte verstoßen gegen elementarste Rechte, die ein ordentliches Gerichtsverfahren ausmachen. So werden Zivilisten vor Militärgerichten (cangaroo courts) unter Missachtung von Völkerrecht angeklagt, und der Staatsanwalt verweigert oft Rechtsanwälten den Zugang zu ihren Mandanten. Die Gerichte versagen den Angeklagten ebenfalls ein rechtsstaatliches Verfahren in Bezug auf willkürliche Verhaftungen und missbräuchliche Verhöre. 

Bei der Vorstellung des Berichts erklärte der stellvertretene Direktor der Nahost- und Nordafrika-Abteilung, Joe Stork, von HRW: „Nach fünf Jahren Hamas-Herrschaft in Gaza riecht ihre Strafjustiz nach Ungerechtigkeit, verletzt routinemäßig die Rechte von Gefangenen und gewährt Straffreiheit für den Missbrauch ihrer Sicherheitsdienste.“ Wie das Abbas-Regime so hat es auch das Hamas-Regime versäumt, die Sicherheitsdienste an die Kandare zu nehmen, da sie ohne ihre Unterstützung zusammenbrechen würden.

Für ihren Bericht hat HRW Missbrauchsopfer und ihre Familien, Anwälte, Richter und Vertreter von palästinensischen Menschenrechtsgruppen befragt, sowie Gerichtsakten und –urteile ausgewertet. Die Zeugen erklärten, dass Geheimdienste, zuständig für die innere Sicherheit, die Drogeneinheit der Polizei und Kriminalbeamte in Folter von Häftlingen verstrickt seien. "Die Unabhängige Kommission für Menschenrechte", die auch Menschenrechtsverletzungen in der Westbank untersucht, habe allein 147 Fälle von Missbrauch in 2011 durch Hamas im Gaza-Streifen untersucht, so der HRW-Report. Der Bericht zeigt auch, dass Hamas und der für die innere Sicherheit zuständige Direktor, Mohammed Lafi, bemüht seien, die schlimmsten Fälle von Missbrauch abzustellen; so seien einige Geheimdienstmitarbeiter degradiert worden. Auch habe man drei Leitern von Menschenrechtsorganisationen im Gaza-Streifen Ad-hoc-Zugang zu Gefangenen in Haftanstalten und den Untersuchungsgefängnissen des Geheimdienstes gestattet. An einigen Fällen verdeutlich der HRW-Bericht, dass die Sicherheitskräfte der Hamas, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen, Gefangene gefoltert und ihrer elementaren Rechte beraubt haben.

Dass ein solcher Umgang mit unbequemen Bürger in Palästina nichts Außergewöhnliches ist, zeigen die unzähligen Berichte diverser Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, B’tselem, The Independent Commission for Human Rights, Palestinian Center for Human Rights u. v. m. Diese Organisationen haben aber auch immer wieder die weitverbreitete Praxis der israelischen Besatzungsherrschaft in Bezug auf Völkerrechtsverstöße, ihres Machtmissbrauchs sowie der grassierenden Verletzung der Menschenrechte der Palästinenser dokumentiert.

Auf dem Höhepunkt des „Friedensprozesses“, als der gesamte Westen vom Ausbruch eines möglichen Friedens in dieser Region trunken war, erschien das Buch „Frieden ohne Gerechtigkeit? Israel und die Menschenrechte der Palästinenser“. Wer damals die „Prinzipienerklärung“ gelesen hat, für den begann mit diesem Prozess eine Reise ins Nirgendwo, initiiert für die westliche Öffentlichkeit. Nachdem die palästinensische Autonomiebehörde etabliert worden war, wurde für jeden kritischen Beobachter schnell klar, welche Rolle Yasser Arafat zu spielen hatte. Die massiven Menschenrechtsverletzungen seiner Behörde gegenüber seinem eigenen Volk ließen nicht lange auf sich warten, wie in den Kapiteln von „Friedensfeinde“  und „Feinde des Friedens“ nachzulesen ist. Auch nach fast 20 Jahren „Friedensprozesses“ gibt es nichts Neues unter Sonne Israels und Palästinas in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten.

Das Hamas-Regime im Gaza-Streifen bedarf dringend einer Reform an Haupt und Glieder. Dasselbe gilt für die korrupte Herrschaftselite im verbliebenen Rest-Palästina, dem so genannte Abbas-Land. Beiden täte ein „palästinensischer Frühling“ gut, damit endlich demokratisch gesinnte Kräfte an die Macht kommen, welche die israelische Besatzungsherrschaft, ihre Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinensern und die Missachtung des Völkerrechts mit demokratischen Mitteln glaubwürdig herausfordern könnten.

Freitag, 5. Oktober 2012

A Prescient Zionist

In his article “Cry Beloved Country”, Azriel Carlebach, founder of the Israeli daily Maariv, expressed in a prophetic manner in 1953 his realization of Israel's predicament: The fear of having to pay for what it did to the Palestinians. He did so in a short and moving story.

A father intends to go with his 10-year-old daughter to the Galilee and shows her, what the Zionist movement accomplished and what it did to the inhabitants of the land. Zionism’s achievements were reached by mere power. “There is no problem, my daughter. For that, all you need is power.” The story speaks for itself: "[A] day will come when you will be reminded of all that you are about to see, and then it will touch you and hurt you sorely (...) that day - I'll not be here to see it - you will ask me with pain and with anger: "You, Father? Did you do this? (...) I am afraid for you, my daughter, because I fear that when you grow up, you will have to pay for all this. I do not know, how or when or with what, possibly, I hope, with money alone, but possibly with blood as you or your sons go to war..."

The injustices done in 1948 are still haunting Israel’s political establishment till today. To the point, Carlebach expressed the moral dilemma of Zionist ideology: “I'm afraid to look in their eyes, because I am ashamed. They, this human dust, are the only people in the world whom I cannot look in the eye. I am not afraid to meet them in battle. I am not afraid of being an enemy to them or of defending myself from them. I am not ashamed to be a foe, a fugitive, a beggar or anything else... but a thief? A thief in the night I do not want to be.” Was Carlebach one of the latest Jewish prophets?

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Der messianische Premier

Benjamin Netanjahu scheint zum Angriff auf Iran entschlossen. Sein Hass auf die Palästinenser hat tiefe Wurzeln, seine Arroganz selbst gegenüber dem US-Präsidenten ist beispiellos. Selbst israelische Top-Geheimdienstler sehen in ihm eine Gefahr.

Von Ludwig Watzal

Wenn es zu einem Krieg im Nahen Osten kommt, dann scheint dies das Verdienst eines Mannes zu sein: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Kein Politiker hat über Jahre hinweg so intensiv an der Dämonisierung einer fiktiven nuklearen Bedrohung Israels durch Iran gearbeitet wie er. In einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung warnt er solange vor einer angeblichen Atombewaffnung Irans, bis dieses Szenario als vermeintliche Tatsache wahrgenommen wird.

Netanjahus Beschwörungen spielen bewusst mit der Angst der Menschen: Die Welt befände sich im Jahre 1938; Iran sei wie Nazi-Deutschland; Achmadineschad sei ein Wiedergänger von Hitler, und Israel drohe ein zweiter Holocaust. Dass Politiker eine solche absurde Polit-Rhetorik an den Tag legen, sollte niemanden überraschen. Dass aber fast die gesamte westliche Medienwelt diesen Unfug für bare Münze nimmt, ist jedoch zutiefst beunruhigend. Bei der Dämonisierung Irans tun sich insbesondere die führenden US-Medien hervor, die nicht nur Netanjahus Horrorszenarien begierig weiterverbreiten, sondern bereits auch die Lügen der Bush-Regierung über die „Massenvernichtungswaffen“ Iraks und den Überfall auf dieses Land lautstark befeuert haben. Es sind die gleichen Medien, die heute wieder für einen Waffengang gegen Iran die Kriegstrommeln schlagen.

Wie ist das „Phänomen“ Netanjahu samt seines endzeitlichen Tunnelblicks zu erklären? Der israelische Ministerpräsident hat sich seit über 30 Jahren mit Terrorismus beschäftigt und darüber auch Bücher publiziert. Ideologisch hat er sich in dieser Zeit nicht weiterentwickelt. Der Widerstand der Palästinenser gegen die seit 1967 völkerrechtswidrig Besetzung ihrer Heimat gilt ihm gemeinhin als „Terrorismus“.

Neben seinen prägenden Jahren in den USA, die ein Glücksfall für Netanjahu waren und ihm den wohlklingenden, einschmeichelnden amerikanischen Akzent beschert haben, sind als persönlichkeitsprägend sein Vater, Benzion, sein Bruder Jonathan sowie sein Frau Sarah zu nennen.

Netanjahu, geboren 1949, wurde in der Tradition des revisionistischen Zionismus erzogen. Sein Vater war Sekretär von Vladimir Jabotinsky, des Gründers dieser Bewegung. Dieser Rechtszionismus beansprucht das gesamte ehemalige britische Mandatsgebiet Palästina, einschließlich des heutigen Jordanien, als „Eretz Israel“ (Land Israel). Die Likud-Partei, deren Vorsitzender Netanjahu ist, steht in dieser Tradition.

Traumatisch für Benjamin Netanjahu war der Tod seines Bruders Jonathan. Er leitete die Befreiungsaktion einer von palästinensischen und deutschen Terroristen entführten französischen Passagiermaschine nach Uganda. Als einziger Israeli überlebte er den Einsatz auf dem Flughafen Entebbe nicht. Bei dieser Entführungsaktion selektierten deutsche Terroristen die Passagiere nach ihrer Glaubensrichtung; alle nicht-jüdischen wurden freigelassen. Die jüdischen Passagiere mussten durch ein israelisches Kommando befreit werden.

Netanjahus engste Beraterin ist seine Frau Sarah. Ihr Einfluss ist bestimmend, obgleich niemand genau sagen kann, in welcher Weise er sich äußert. Lange Zeit ging Netanjahu der Ruf voraus, er spiele Freund und Feind gegeneinander aus. Er galt nicht als ein Ausbund an Vertrauenswürdigkeit. Auf Sarahs Einfluss sei es zurückzuführen, dass er gegenüber anderen Menschen „offener“ und „gelassener“ geworden sei. Neben diesen positiven Eigenschaften hat Sarah Netanjahu mehrmals für negative Schlagzeilen in Bezug auf die Behandlung ihrer Hausangestellten gesorgt. Darüber hinaus polarisiert sie und ist sehr bestimmend, hat auch in der Politik „die Hosen an“. Mehr Furcht als Respekt wird ihr entgegengebracht.

Netanjahu war bereits von 1996 bis 1999 Ministerpräsident Israels. Den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton desavouierte er in jener Zeit ebenso wie heute den Präsidenten Barack Obama. Schon unter Clinton durfte er vor beiden Häusern des US-Kongresses sprechen. Der Beifall damals war jedoch noch nicht so peinlich wie im Mai 2012, als die US-Abgeordneten wie auf Kommando 29 mal von ihren Sitzen aufgesprungen sind und frenetisch, wie in Trance seine überaus reaktionäre Rede beklatschten. Der New York Times-Korrespondent Thomas Friedman kommentierte: „ Ich hoffe, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Neanyahu versteht, dass die stehenden Ovationen, die er in diesem Jahr im US-Kongress bekam, nicht seiner Politik gegolten haben. Die Ovationen wurden gekauft und bezahlt von der Israellobby.”

Die Jahre seiner ersten Regierungszeit als Ministerpräsident verliefen innenpolitisch chaotisch. Seine Lieblingsfeinde waren „die Linken“ – im wesentlichen die sozialdemokratische Arbeitspartei, die die ersten Jahrzehnte des israelischen Staates geprägt hatte – und die von ihnen dominierten Medien; an diesem Popanz arbeitete sich Netanjahu ab. Dies bekamen auch die Palästinenser unter Jassir Arafat zu spüren, der von den so genannten linken Zionisten bis zum Scheitern der Camp David-Verhandlungen im Jahr 2000 unterstützt worden ist. Netanjahus größter politischer Fehler war der Giftmordbefehl gegen das Hamas-Mitglied Khaled Maschaal. Das Attentat durch Mossad-Agenten am 25. September 1997 in Amman scheiterte, und der jordanische König Hussein forderte Netanjahu ultimativ auf, unverzüglich das Gegengift zu liefern. In seiner ersten Amtszeit war Netanjahu ein Opfer seiner rechten Freunde und seiner sprunghaften Persönlichkeit. Selbst seine eigenen Anhänger witzelten: „Bibi schwindelt dermaßen, dass auch das Gegenteil von dem, was er sagt, noch eine Lüge ist.“ Netanjahu war es gelungen, Freund und Feind gegen sich aufzubringen. Seine reaktionäre und antisoziale Politik führte das Land innen- und außenpolitisch in eine Sackgasse. Der Schriftsteller David Grossmann schrieb am 8. Juni 1999 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Israel machte die schwersten, destruktivsten und auch groteskesten Zeiten in seiner Geschichte durch.“ Selbst der ehemalige Ministerpräsident Yitzhak Schamir nannte Netanjahu einen „Engel der Zerstörung“, weil er die Likud-Partei zerstört habe. Für die Israelis ging mit seiner Abwahl 1999 die Zeiten der Täuschungen und Konfrontationen zu Ende. Ein bekannter Fernsehkommentator sagte am Tag danach: „Ein wunderbares Gefühl, morgen früh mit einem Ministerpräsidenten aufzuwachen, der die Wahrheit sagt.“

Doch schon 2001 kehrte der Likud an die Schalthebel der Macht zurück. Unter der Regierung von Ministerpräsident Ariel Scharon wurde Netanjahu Finanzminister. Er war verantwortlich für eine ökonomische Deregulierung, die wenig Rücksicht auf soziale Belange und, wie in allen westlichen Industrienationen, allein den Reichen nützten. Die Massenproteste in Israel seit letztem Jahr sind das Resultat seiner Wirtschaftsreformen.

Netanjahus Rückkehr als Premier seit 2009 war nur möglich, weil er sich mit extremistischen Koalitionspartnern wie der Shas-Partei und der „Russenpartei“ (Beitenu Israel) von Avigdor Lieberman verbündete. Dies hat zur weiteren Radikalisierung des Landes beigetragen und den religiösen Fundamentalismus gefördert. Einige Kommentatoren sprechen bereits von einem „jüdischen Iran“, oder, wie Gershom Gorenberg in seinem Buch "Israel schafft sich ab", von einer reaktionären „Neugründung Israels“.

Der größte Erfolg Netanjahus in seiner zweiten Regierungszeit war die Freilassung von 1.027 palästinensischer Gefangenen am 18. Oktober 2011 im Austausch für den von der Hamas entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit, der fünf Jahre im Gaza-Streifen gefangen gehalten worden war. Was Netanjahu ebenfalls erreicht hat, ist die forcierte Kolonisierung der besetzten palästinensischen Gebiete und damit die Demütigung von US-Präsident Obama und sogar von dessen pro-zionistischen Vizepräsidenten Joseph Biden. Letzterer wurde bei seinem Israel-Besuch im März 2010 durch die Ankündigung neuer Siedlungen in Ost-Jerusalem öffentlich bloßgestellt, obgleich er bei seiner Ankunft gesagt hatte: „Es ist gut, zu Hause zu sein!“ Eigentlich sollte man denken, dass ein US-Vizepräsident in den USA und nicht in Israel „zu Hause“ ist.

Oberste Priorität für Netanjahu hat jedoch die militärische Konfrontation mit Iran. Über die „Israellobby“ nimmt er massiven Einfluss auf den innenpolitischen Entscheidungsprozess der USA. Zu seinen Unterstützern zählt AIPAC, die wichtigste pro-Israellobby, darunter christliche Fundamentalisten, die eine endzeitliche Schlacht um das Heilige Land („Armageddon“) predigen, sowie der Glücksspiel-Magnat Sheldon Adelson und Ronald Lauder, Erbe des Lauder Kosmetik Imperiums.

Netanjahu und seine Unterstützer in den USA haben wesentlich dazu beigetragen, dass der US-Kongress ein mörderisches Sanktionsregime gegen Iran verhängt hat. Wie aufgeheizt die Kriegsstimmung ist, zeigt die Tatsache, dass am 30. August Generalstabschef Martin Dempsey bei seinem Besuch in London erklärt hat, dass das US-Militär nicht „mitschuldig“ (complicit) sein wolle, sollte Israel den Iran überfallen.

Selbst innerhalb des israelischen Sicherheitsestablishments gibt es heftigen Widerstand gegen eine israelische Attacke auf die Nuklearanlagen Irans. Mehrere Ex-Geheimdienstchefs lehnen einen solchen Angriff ab, weil Israel nicht existentiell bedroht sei. Die einzigen, die zu einem Waffengang wild entschlossen sind, scheinen Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak von der Arbeitspartei zu sein. Der ehemalige Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Juval Diskin, bezeichnete beide als „messianisch“ – in Anspielung auf das Alte Testament, wo der Messias („der Gesalbte“) den Ewigen Frieden nach der ultimativen Schlacht bringt. Dieser endzeitliche Fanatismus lasse, so Diskin, politische Vernunft vermissen. Würde man, wie Netanjahu und Barak fordern, die iranischen Anreicherungsanlagen angreifen, so würde dies das Atomprogramm des Landes nicht beendigen, sondern im Gegenteil beschleunigen. „Was die Iraner heute langsam und ruhig machen, werden sie dann (nach einem israelischen Militärschlag) schneller und in kürzerer Zeit tun.“ In Anspielung auf die Luxussiedlungen, in denen Barak und Netanjahu wohnen, sagte Diskin: „Wollen Sie darin unsere zwei Gesalbten erkennen? Der eine aus Akirov (...), der andere von Caesarea?“ Und weiter: „Ich sage Ihnen, ich habe sie mir aus der Nähe betrachtet, und sie sind nicht Messias. Und es sind keine Leute, denen ich persönlich zutraue, Israel in ein Konfrontation von dieser Größenordnung hinein- und dann auch wieder herauszuführen.“

Zuerst erschienen hier.

Mittwoch, 3. Oktober 2012

US-Drohnen-Politik: Akte von Staatsterrorismus?


Die Studie "Living Under Drones" der Stanford Universität und der New York University bringt es an den Tag: Die Drohnen-Politik der Obama-Administration in Pakistan tötet nicht nur vorwiegend Zivilisten, sondern erweist sich auch politisch als kontraproduktiv. Neben den überwiegend Unschuldigen, die bei diesen aus den USA gesteuerten Attacken ums Leben kommen, zeitigt diese Art der Politik zwei weitere „Erfolge“: der Hass auf die USA hat in der muslimischen Welt epidemische Ausmaße erreicht, und Al-Kaida ist überall, wie die Ermordung des US-Botschafters in Bengasi gezeigt hat.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass über einen Zeitraum von acht Jahren zwischen 2 562 bis 3 325 Menschen in Pakistan durch Drohnen-Angriffe ums Leben kamen; davon waren 474 bis 881 Zivilisten, eingeschlossen 176 Kinder. Nur zwei Prozent konnten als so genannte „high-level“ Ziele, sprich „Topterroristen“ eingestuft werden. Konkret bedeutet dies, dass durch die Drohnen-Attacken drei Mal so viele Kinder getötet worden sind wie Terroristen. Obgleich einige führende Al-Kaida-Mitglieder durch diese völkerrechtlich höchst fragwürdige Methode eliminiert werden konnten, bleiben mehr ethische, völkerrechtliche und philosophische Fragen unbeantwortet, ganz abgesehen von dem Imageschaden für eine Nation, die das religiöse verbrämte Selbstbildnis von der „Stadt auf einem Hügel“ pflegt; US-Präsident Ronald Reagan sprach immer von der „leuchtenden Stadt“ (shining city). 

Hass auf die US-Regierung und die Rekrutierung von Al-Kaida-Unterstützern erfolgt heute über den exzessiven Gebrauch der Drohnenpolitik und nicht mehr primär über das Gefangenenlager Guantanamo, in dem seit 2001 immer noch über 150 angebliche Al-Kaida-Terroristen einsitzen, ohne jemals auch nur die Chance auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren zu gewärtigen. Einige von ihnen sollen irgendwann von Militärgerichten, so genannten „kangaroo courts“, abgeurteilt werden. Die „shining city“ zeigt hier ihr wahres Gesicht.

In den USA gibt es heftige Kritik an Präsident Obamas Einsatz von Drohnen, die aber von Mitarbeitern seiner Administration nur hinter vorgehaltender Hand geäußert wird. Einige Wissenschaftler rücken diese Art der Politik in die Nähe von „Staatsterrorismus“. Was bisher einmalig für einen demokratischen Staat ist, dass das Staatsoberhaupt persönlich über eine „Todesliste“ (hit list) präsidiert, auf der angebliche Terroristen stehen sollen, die dann durch seinen Befehl zum Abschuss freigegeben sind. Selbst US-amerikanische Staatbürger sind vor dieser außergesetzlichen Tötung nicht sicher, wie das Beispiel des 1971 im kalifornischen Las Cruses geborenen Predigers Anwar al-Awlaki zeigt; selbst sein Sohn fiel später einem Drohnen-Angriff zum Opfer, und dies alles ohne ein rechtsstaatliches Verfahren.

Die Gesetze, die in der Folge von 9/11 im Rahmen des „Patriot Act“ erlassen worden und die in der Zwischenzeit durch weitere einem Rechtsstaat Hohn sprechende Begleitgesetze verfeinert worden sind, scheinen den Rest des Westens nicht zu beunruhigen, obgleich ein Teil der demokratischen Öffentlichkeit der USA dagegen Sturm läuft, weil sie aus den USA einen „Polizeistaat“ gemacht hätten und den Artikeln der US-Verfassung auf das fundamentalste zuwiderliefen. Ist diese Sprachlosigkeit allein der Tatsache geschuldet, dass in den USA ein nicht-weißer Präsident regiert? Wäre nicht die Hölle in den westlichen Medien los, wenn immer noch George W. Bush regieren würde? 

Das Gerede des „Friedensnobelpreiskriegers“ von den „gemeinsamen westlichen Werten“ ist ähnlich hohl wie weiland die Phraseologie eines längst untergegangenen sozialistischen Imperiums. Gehört die Tötung völlig unschuldiger eigener Staatsbürger ohne ordentliches Gerichtsverfahren durch die eigene Regierung zum westlich-demokratischen Wertekanon? Ist das Einkerkern von angeblichen Terroristen seit 2001 ohne Beweis und Gerichtsverfahren in einem Militärlager auf Kuba mit westlichen Werten vereinbar? Ist das in definitive Wegsperren aufgrund eines geäußerten Verdachts von US-Bürgern ein westlicher Wert? Ist ein Angriffskrieg aufgrund manipulierter Fakten durch die US-Regierung im Falle Irak mit dem Völkerrecht und damit mit dem westlichen Rechtsverständnis vereinbar? Die Karikatur des westlichen Wertsystems ließe sich ad Infinitum fortsetzen. 

Die Europäer sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob die USA noch über das gleiche Wertesystem reden, wenn ihr Anführer von „shared common values“ (gemeinsamen Werten) spricht. Mit welchem Recht will man im Nachahmungsfall protestieren, wenn diese westliche-demokratische Praxis von anderen Staaten auch in Anspruch genommen wird? Vielleicht nach dem Motto: Quod licet lovi, non licet bovi! (Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Selbe.) Würde dies dann aber nicht den Gipfel westlicher Doppelmoral darstellen?

Zuerst erschienen hier.

Montag, 1. Oktober 2012

US „Red Lines“ for Bibi Netanyahu

On September 27th, 2012, the United Nations General Assembly witnessed a ridiculous appearance of Netanyahu. He not only presented a self-drawn cartoon, which made headlines all over the world, but in fact, he looked more cartoonist than his self drawn graph. Some Israeli officials think he is “deranged”; some call him “messianic”. At least, his speech showed to the world that these judgments hit the nail on the head.

Because the US Americans did not follow Netanyahu’s orders to draw “red lines” for the Iranians so he did it himself amateurishly and political foolishly. Netanyahu’s UN speech was fluffy and mere rhetoric and not so much directed to the world but rather to the American political class. Netanyahu might think that only they are important. The rest of the worlds are mere bystanders. He knows the American political system back to front, and he knows the US politicians, what makes them tick. He is not “irrational” as he confirmed towards “ynet news” from August 5, 2012, Netanyahu said: “I would prefer that the US attack Iran, but the likelihood of that is small.” And to the characterization as a “messianic” by Shin Bet-chief Yuval Diskin he replied that “he is being completely rational in considering the matter”. 

After his rant before the UN Netanyahu has finally become an embarrassment even for the fawning corporate media in the US. Nobody bothers about his speech; it was all in the cartoon. His meddling in US elections and internal affairs directly, via the Israeli embassy and AIPAC causes some US Americans to question the “unshakable” alliance with Israel. Netanyahu and its right-wing pro-Likud cheerleaders in the US do everything to get Mitt Romney elected as the next President. They expect from him to start a war against Iran together with Israel. But for such an illegal attack it seems that not even Romney gave Israel’s hawkish Prime Minister a go-ahead. 

Romney, who had spoken to Netanyahu, said that publicly threatening to attack Iran would be enough and he would not take it “off the table”. He hopes that the US can prevent any military action. In their talk, Romney avoided to support Netanyahu’s call for “red lines” and an “ultimatum” against Iran. But he added that he would “respect” any decision Israel would take to go to war with Iran. 

By keeping the Iranian alleged nuclear issue publicly on the boil, the Israeli government distracts the international community from two real important topics: Israel’s mistreatment of the Palestinian people and its own vast atomic arsenal that is off limits for the inspectors of the “International Atomic Energy Agency“(IAEA) in Vienna. Before the US and its Western cronies demanding from Iran to drop its pants in the nuclear issue, they have to press Israel to comply with the IAEA and to sign the “Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons” (NPT), which Iran has signed and observers meticulously. This gives the Western warmongers no casus belli. All the other bombastic accusations against the Iranian leadership and their alleged support of terrorism are not supported by hard facts. 

More important than making unsubstantiated charges against Iran’s fictional nuclear weapons program, US President Obama should draw “red lines” for the Israeli government to sign the NPT and open up its nuclear installations for the IAEA inspectors. Instead of threatening Iran with an attack on a regular basis, Netanyahu and his right-wing government should be forced by the US government to end the 45-year-old occupation and colonization of Palestinian land, comply with international law and respect the human rights of the Palestinian people. On a personal level, Obama should make it clear to Netanyahu to stop making a fool of him and stop acting up with him publically. 

Would an attack on Iran give the Israeli government the political opportunity to finish the job from 1948? In 1989, in a speech before students of the Bar-Ilan University in Tel Aviv, Netanyahu said inter alia: “Israel should have, as the world’s attention was focused on China, taken advantage of the repression of the demonstrations to carry out mass expulsions of Arabs.” 

There are some farsighted US strategists whose answer to the question of a nuclear Iran is: So what! Indeed, a nuclear Iran would contribute to the stability in the region as the renowned scholar Kenneth Waltz has pointed out in his article “Why Iran should get the Bomb?” It was published in the July/August issue of “Foreign Affairs”. The bottom line of his argument was: “When it comes to the nuclear weapons, now as ever, more may be better. “ This means loosely translated, according to Waltz, that when it comes to nuclear weapons, their spread could still secure peace.

Up till now, none of the nuclear powers have ever attacked another nuclear power. All the belligerent talk about attacking Iran would be over with the acquisition of nuclear weapons by Iran and stability would return to the troubled Middle Eastern region. History of the last 60 years shows that nuclear deterrence works.

Photo credits: MWC News.
First published herehere and here.