Montag, 7. Oktober 2013

"Apartheid gehört auf den Müllplatz der Geschichte" von Rupert Neudeck

Das vorliegende Buch scheint mir in der ausufernden Literatur und den Medienberichten bislang der nüchternste und im Urteil klarste Bericht über den politischen Zustand Israels zu sein. Schon der Buchtitel deutet auf die Brisanz des Inhaltes. Den Titel „Apartheid“ im Zusammenhang mit Israel aufrechtzuerhalten, bedeutet, wie wir in Deutschland wissen, schon Mut, denn man darf das Wort „Apartheid“ unter Gefahr des Antisemitismus-Vorwurfs nicht in Bezug auf Israel verwenden. 

Michel Bole-Richard war von 1984 bis 1990 in Südafrika und von 2006 bis 2009 in Israel als Korrespondent einer der besten und zuverlässigsten Zeitungen der Welt tätig: Le Monde. Man braucht ihm nicht zu erzählen, was Apartheid ist. Aber man erfährt, dass die moderne Politik und der Schutz von Millionen von Menschen sowie deren Würde manchmal von einem Wort oder einem magischen Begriff abhängt. Hätte die US-Botschafterin Madeleine Albright damals im April 1994 das magische Wort „Völkermord“ im UN-Sicherheitsrat 1994 benutzen dürfen, dann hätte die Weltgemeinschaft sofort gegen den beginnenden Völkermord in Ruanda einschreiten müssen. Sie durfte es aber nicht, die Regierung stand noch unter dem Trauma der gescheiterten Somalia Mission und erlaubte es ihr nicht. 

In der heutigen Lage müsste die Weltgemeinschaft auch in der Westbank einschreiten. So müsste sie, wenn das Wort nicht nur von einem französischen Journalisten, einem ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter oder dem südafrikanischen Bischof Desmond Tutu, sondern von einer politischen Großmacht benutzt würde. Dann müsste die so festgestellte Apartheid in Israel und den besetzten Gebieten beendet werden. Dann bräuchte der US-Außenminister auch nicht seinen Kinofilm „Palästina-Israel Friedenskonferenz“ aufführen, denn es geht nur darum, die Apartheid abzuschaffen, die Besatzung zu beenden, und dies kann Israel ohne irgendeine Konferenz alleine tun. Da aber alle an der Fortsetzung des Stückes „Palästina Autonomiebehörde“ interessiert sind, macht man teure und sinnlose „Cinema-Konferenzen“, möglichst weit weg von dem besetzten Gebiet und dem Problem. Viele würden sich in Deutschland die Augen reiben und sich sagen: Das hat ihnen noch niemand gesagt. Man setzte sich nicht mit dem Besatzungsregime an einen Tisch, warum auch, das tut man erst, wenn die Besatzung aufgehoben ist oder diese Aufhebung damit ratifiziert wird.

Der Autor zitiert den Minister der Geheimdienste in Südafrika Ronnie Kasrils, Jude, ehemaliger Kommunist, Kämpfer gegen die Apartheid, 27 Jahre im Exil, der sich auf eine Reise nach Israel gemacht hatte. Danach erklärte er 2007: Es würde oft die Analogie gezogen zwischen der Apartheid in Südafrika und der Besatzung Palästinas durch Israel. Aber “das ist nicht die gleiche Sache. Die Besatzung (in Palästina) ist schlimmer. Diese Besatzung erinnert mich an die düstersten Tage der Apartheid. Und wir haben noch nicht mal Panzer und Flugzeuge gegen eine Zivilbevölkerung eingesetzt erlebt. Die Mauer, die Checkpoints, die Straßen nur für Juden, das dreht mir den Magen um als jemandem, der groß geworden ist unter der Apartheid. Das ist hundertfach schlimmer!“ 

Lassen wir das so stehen, wir Deutschen, die wir schon beim Lesen dieses glaubwürdigen Zeugen die Gänsehaut bekommen und uns denken, hoffentlich hat uns niemand beim Lesen ertappt. Ronnie Kasrils zitiert David Ben Gurion, der in den 1950er Jahren erklärt hat: „Warum sollen die Araber Frieden machen? Wenn ich ein arabischer Führer wäre, ich würde keine Verhandlungen und kein Arrangement mit Israel eingehen. Das ist doch normal. Wir haben ihnen ihr Land weggenommen. Sicher, Gott hatte es uns versprochen, aber für sie hat das keine Bedeutung. Unser Gott ist nicht ihr Gott. Wir kommen aus Israel, aber es mussten 2500 Jahre vergeben, bis das getan werden konnte? Gewiss es gab den Antisemitismus, Hitler, Auschwitz, aber waren sie dafür verantwortlich? Das einzige, was sie sehen, ist: das wir hierhin gekommen sind und ihren ihr Land gestohlen haben. Warum sollten sie das akzeptieren?“ 

Wie das alles ausgeglitten ist, wie religiöse Bestimmungen ins Rassistische und Faschistische entarten, kann der Autor an einigen Ereignissen seiner und unserer Tage aufzeigen. So kann zum Beispiel ein Rabbiner jemandem mit einem religiösen Verdickt (jüdische „Fatwa“) bedrohen, wenn er als Jude eine Wohnung an einen Araber vermietet. Was wäre wohl los, zitiert der Autor Uri Avnery, „wenn der Erzbischof von New York einem Katholiken verbietet, ein Appartement an einen Juden zu vermieten und dieses als eine Todsünde bezeichnen würde, die mit dem Risiko der Exkommunikation einhergeht?“ Genau das spiele sich aber in Israel permanent ab. 

Mit „Sklerose Gesetze“ überschreibt der Autor ein Kapitel, in dem wir Dinge finden, die uns besser nicht bekannt sein sollen. 47 Prozent der Juden in Israel wollen, dass die Minderheit von 20 Prozent arabischen Israelis in das Gebiet der Palästinensischen Autorität vertrieben werden soll. Eine Hälfte der jüdischen Bevölkerung möchte nicht gern mit einem Araber als Nachbar und nicht ihre Kinder mit einem Araber in dem gleichen Klassenraum erleben. Man stelle sich vor, ein Drittel der Franzosen würden sagen, die Juden in Frankreich dürfen nicht wählen, die Hälfte würde sich weigern, einen Juden als Nachbar und ein jüdisches Kind in derselben Klasse wie ihre Kinder zu haben. Selbst die Propagandisten der extremen Rechten würden schreien und erklären das sei Antisemitismus. „Die Demokratie, ja selbstverständlich. Aber nur für die Juden!“ 

Das alles hat sich nach Meinung des Autors noch gesteigert als die Knesset im Juli 2011 das Gedenken der Palästinenser an die Nakba unter Strafe stellte. Am 13. November 2011 wurde ein Gesetz verabschiedet, das man sonst nur aus diktatorischen Systemen (USA, Russland) kennt, das die Finanzierung von israelischen Nichtregierungsorganisationen durch ausländische Geldgeber verbot. Am 21. November setzte die Knesset noch einen drauf und erließ Strafen für diejenigen, die den Staat Israel diffamieren: Strafen bis zum 300.000 Euro oder sechs Jahre Gefängnis, wenn der Wille bewiesen wurde, dass man dem Staat Israel schaden wolle.

Die Kapitel sind klar und ohne Umschweife, der Autor beschreibt das judaisierte Jerusalem, das gegen alle Welt aus Jerusalem die Hauptstadt von Juden machen und die Araber langsam verdrängen möchte. Er beschreibt die blinde Freundschaft des Westens. Ein weiteres Kapitel ist überschrieben: „Gaza sehen und schweigen“. Er vergleicht die israelische Gesellschaft mit einer, die keine Zukunft hat, weil sie sich einer Strategie des Bunkers verschworen hat und sich da immer weiter eingräbt.

Als die Palästinenser mit der Stimme von Mahmud Abbas in der Generalversammlung der UNO am 2. Dezember 2012 sich unbotmäßig gegenüber der Regierung Israels verhielten und die Anerkennung Palästinas als Staat verlangten, da tobte der Premierminister Israels ohne jeden Grund. 138 Staaten von 188 hatten für den Staat Palästina gestimmt.

Das Buch schließt mit einer prophetischen Äußerung von Amos Oz im Januar 2013. Er sagte damals „Für mich ist die Regierung Netanyahu die antizionistischste, die Israel je gehabt hat. Er macht alles, damit es am Ende nicht zwei Staaten gibt, sondern einen einzigen. Er hört nicht auf, auf Mahmud Abbas einzuschlagen, und gegen ihn moralische, finanzielle und politische Sanktionen zu verhängen.“

Sie glauben, die Juden könnten immer eine arabische Mehrheit beherrschen. Kein Apartheid-Staat in der Welt kann seinem Schicksal auf Dauer entgehen und wird zusammenbrechen. Die Zeit, so Michel Bole-Richard, arbeite gegen Israel. 

Das weiß Israel auch deshalb nicht, weil die deutsche Regierung diese Kritik an Israel auch von ihren Wahlbürgern möglichst fernhalten will, allein schon aus Feigheit. Um die Feigheit in uns zu besiegen, ist das Buch ein wunderbares Aufmunterungsmittel.

Rupert Neudeck

Michel Bole-Richard: Israel Le Nouvel Apartheid. LLL, Les liens qui liberent. Paris 2013  207 Seiten.